Der Begriff Atomisierung (i.S. von völlig zerstören, zerkleinern) wurde vom Bundesarbeitsgericht geschaffen. Atomisierung bedeutet, Arbeitsvorgänge in kleinstmögliche abgrenzbare Arbeitsleistungen zu zerstückeln mit der Folge, dass diese rechtswidrig gebildeten Bewertungseinheiten eine "schlechtere" Gesamtbewertung ermöglichen.
Zu beachten ist hierbei, dass zur Vermeidung einer tarifwidrigen Zerstückelung von Arbeitsvorgängen wiederkehrende gleichartige Arbeiten, die die gleichen Einzeltätigkeiten umfassen und das gleiche Arbeitsziel haben, bei gleicher rechtlicher Wertigkeit jeweils grundsätzlich zu einem Arbeitsvorgang zusammengefasst und nicht einzeln rechtlich bewertet werden können. So sind z.B. gleichförmige Arbeiten, wie die Bearbeitung von Widerspruchsbescheiden mit gleichem Schwierigkeitsgrad, grundsätzlich zu einem Arbeitsvorgang zusammenzufassen. Desgleichen würde auch eine Aufteilung der Einzeltätigkeiten eines Sachbearbeiters eines Integrationsamts im Rahmen des SGB IX für den Bereich Kündigungsschutz zu einer tarifwidrigen Atomisierung führen.
Andererseits ist auch zu beachten, dass Bearbeitungsvorgänge, auch wenn sie nach außen gleichartig oder ähnlich erscheinen mögen, dennoch von unterschiedlicher Wertigkeit und Schwierigkeit sein können. In diesem Falle können sie nicht zu einem einzigen Arbeitsvorgang zusammengefasst werden. Erstellt z.B. ein Angestellter daktyloskopische Gutachten von unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad, so sind diese auch von unterschiedlicher tariflicher Wertigkeit und können nicht zu einem Arbeitsvorgang zusammengefasst werden. Daher kann auch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass alle Anträge, z.B. auf Gewährung einer Beihilfe oder auf Gewährung von Leistungen der Unterhaltssicherung oder auf Gewährung von Sozialhilfe, zu einem einzigen Arbeitsvorgang zusammengefasst werden müssen. Auch hier gibt es innerhalb der Bearbeitungsfälle durchaus unterschiedliche Schwierigkeitsgrade. Andererseits darf die Zerstückelung/Aufspaltung ( "Atomisierung") nicht so weit gehen, dass so kleine Bewertungseinheiten gebildet werden, dass einige Arbeitsvorgänge noch nicht einmal das Merkmal "gründliche Fachkenntnisse" erfüllen würden. So wäre es z.B. nicht angängig, aus jedem Antrag auf Beihilfe oder Gewährung von Sozialhilfe einen eigenen Arbeitsvorgang zu bilden. Vielmehr sind zur Vermeidung einer tarifwidrigen Atomisierung etwa gleichartige Sozialhilfefälle zu einer einheitlichen Arbeitsvorgang zusammenzufassen.
Zur Erläuterung folgen noch einige Beispielsfälle aus der Rechtsprechung:
- Die unterschriftsreife Bearbeitung von Anträgen auf Gewährung von Leistungen der Unterhaltssicherung, gleichgültig ob der Antragsteller noch keine oder schon Leistungen erhält und diese aufgrund eines anderen tatsächlichen oder rechtlichen Sachverhalts nur erhöht oder in anderer Form gewährt haben möchte oder die Verwaltung aufgrund der Erkenntnisse sich zur Änderung eines Bescheids genötigt sieht, kann aufgrund der unterschiedlichen Schwierigkeit nicht zu einem Arbeitsvorgang zusammengefasst werden.
- Entgegennahme, Prüfung und unterschriftsreife Bearbeitung von Anträgen auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt (ein Arbeitsvorgang)
- Entgegennahme, Prüfung, Bearbeitung und Unterzeichnung von Änderungen laufender Hilfe zum Lebensunterhalt (ein Arbeitsvorgang)
- Hilfe in besonderen Lebenslagen (ein Arbeitsvorgang)
- Überprüfung von Sozialhilfefällen auf Unterhaltspflicht (ein Arbeitsvorgang)
- Berechnung und Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen (ein Arbeitsvorgang)
- Anlegung von Familienbüchern (ein Arbeitsvorgang)
- Fortführung und Neuanlage von Familienbüchern (ein Arbeitsvorgang)
- Schriftverkehr für den Amtsleiter (ein Arbeitsvorgang)
- Mitwirkung bei Eheschließungen (ein Arbeitsvorgang)
Zur Verdeutlichung der Folgen einer tarifwidrigen Atomisierung nachfolgendes Praxisbeispiel.
Arbeitsvorgänge |
zeitlicher Anteil |
gründliche Fachkenntnisse |
gründliche und vielseitige Fachkenntnisse |
selbständige Leistungen |
1. Bearbeitung von Beihilfeanträgen bei Lehrern im Angestelltenverhältnis 2. Festsetzung Dienst- und Beschäftigungszeit |
20 % 80 % |
ja ja |
ja ja |
ja nein |
|
100 % |
100 % |
100 % |
20 % |
Der Angestellte wäre in VergGr. VIb Fgr. 1a (gründliche und vielseitige Fachkenntnisse mit mindestens 1/5 selbständige Leistungen) eingruppiert. Die Personalabteilung versucht nun, den Arbeitsvorgang 1 in Arbeitseinheiten zu atomisieren, indem sie Arbeitsleistungen, bei deren Erledigung keine "selbständigen Leistungen" erbracht werden, heraustrennt.
Arbeitsvorgänge |
|
zeitlicher Anteil |
gründliche Fachkenntnisse |
gründliche und vielseitige Fachkenntnisse |
selbständige Leistungen |
bisher |
jetzt |
1. Bearbeitung von Beihilfeanträgen bei Lehrern im Angestelltenverhältnis |
a) |
18 % |
ja |
ja |
ja |
Heraussuchen und Ablegen der Beihilfeakten |
b) |
2 % |
nein |
nein |
nein |
2. Festsetzung Dienst- und Beschäftigungszeit |
c) |
80 % |
ja |
ja |
nein |
|
100 % |
98 % |
98 % |
18 % |
Nach der tarifwidrigen Atomisierung wäre der Angestellte nur noch in VergGr. VII ...