LAG Düsseldorf, Urteil v. 21.2.2020, 10 Sa 252/19
Leitsätze
1. Einigen sich die Vertragsparteien darüber, dass der Arbeitnehmer zu einer im betrieblichen Interesse erforderlichen und angeordneten Schulung, die am frühen Morgen des Tages beginnen soll, der zunächst als Vertragsbeginn vorgesehen war, bereits am Vortag anreist, weil der Schulungsort so weit vom Dienstort entfernt liegt, dass anderenfalls eine rechtzeitige Anreise nicht möglich oder unzumutbar wäre, handelt es sich bei der Fahrtzeit für die dienstlich erforderliche Anreise um Arbeitszeit im arbeitsvertragsrechtlichen Sinne. Der Arbeitnehmer erbringt damit bereits die versprochenen Dienste i. S. v. § 611 Abs. 1 BGB (a. F.). Vertragsrechtliche Arbeitszeit ohne Arbeitsvertrag gibt es nicht.
2. Die Einigung über vertragsrechtliche Arbeitszeit am Vortag des ursprünglich vorgesehenen Vertragsbeginns führt zur einvernehmlichen Vorverlegung des Beginns des Arbeitsverhältnisses auf den Tag der Dienstreise.
3. Beginnt das Arbeitsverhältnis dementsprechend am 4.9.2016, überschreitet eine bis 4.9.2018 vereinbarte Befristung den für sachgrundlose Befristungen nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG maximal zulässigen Zeitraum von 2 Jahren um einen Tag. Rechtsfolge ist die Unwirksamkeit der Befristungsabrede und das Zustandekommen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses.
Sachverhalt
Im vorliegenden Fall ging es u. a. um die Frage der Wirksamkeit einer Befristungsabrede. Der Kläger bewarb sich auf eine vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ausgeschriebene Stelle als Anhörer in der Vorbereitung von Asylentscheidungen am Standort Düsseldorf. Daraufhin wurde ihm mitgeteilt, dass man beabsichtige, ihn befristet für den Zeitraum vom 5.9.2016 bis zum 4.3.2017 einzustellen. Vor Beginn der Tätigkeit sollte er an einer 3-wöchigen Schulung in Nürnberg teilnehmen, um auf die zukünftige Tätigkeit vorbereitet zu werden. Die Kosten der Reise sowie Übernachtung sollten übernommen werden. Am 29.8.2016 unterzeichnete der Kläger den von Arbeitsgeberseite schon am 24.8.2019 unterzeichneten Arbeitsvertrag, wonach er ab dem 5.9.2016 befristet ohne sachlichen Grund nach § 14 Abs. 2 TzBfG bis zum 4.3.2017 eingestellt wurde. Mit E-Mail vom 3.9.2016 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er vom 4.9.2016 bis zum 13.9.2016 ein Hotelzimmer am Schulungsort Nürnberg reserviere. Wie angekündigt reiste der Kläger am 4.9.2016 zum Schulungsort und nahm an der Schulung teil. Die hierbei anfallenden Kosten übernahm die Beklagte. Im Anschluss an die Schulung wurde der Kläger als Anhörer im Asylverfahren in der Außenstelle Düsseldorf beschäftigt; der Vertrag wurde dann bis zum 4.9.2018 verlängert. Der Kläger erhob Klage, indem er u. a. die Unwirksamkeit der im Änderungsvertrag vereinbarten Befristungsabrede sowie die vorläufige Weiterbeschäftigung geltend machte. Der Kläger hatte hierzu vorgebracht, sein Arbeitsverhältnis habe bereits am 4.9.2016 mit der Anreise zum Schulungsort begonnen. Mit dem Antritt der Dienstreise habe er sich den Anweisungen der Beklagten unterstellt und am Dienstreisetag nicht über seine Freizeit verfügen können.
Die Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg. Das LAG entschied, dass die im Änderungsvertrag vereinbarte Befristung des Arbeitsverhältnisses auf den 4.9.2018 unter Berücksichtigung der Vertragsdauer der ersten Befristungsvereinbarung die in § 14 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 TzBfG zugelassene Höchstdauer von 2 Jahren um einen Tag überschritt, da das Arbeitsverhältnis entgegen der Angabe im Arbeitsvertrag nicht erst am 5.9.2016, sondern bereits mit der Anreise des Klägers zum Schulungsort Nürnberg am 4.9.2016 begonnen hatte.
Das LAG begründete dies mit dem Umstand, dass es dem übereinstimmenden Vertragswillen der Parteien entsprach, dass der Kläger bereits am 4.9.2016 nach Nürnberg reisen und dort übernachten würde. Gemäß dem Urteil vom BAG vom 15.11.2018, 6 AZR 294/17 (o. ä. BAG vom 17.10.2018, 5 AZR 553/17; vom 25.4.2018, 5 AZR 424/17), seien die für genehmigte Reisen zu im dienstlichen Interesse erfolgenden Fortbildungen außerhalb des Dienstortes aufgewandte Zeiten in vollem Umfang als vergütungspflichtige Arbeitszeit zu berücksichtigen, soweit keine abweichende Vergütungsregelung zwischen den Arbeitsvertragsparteien getroffen wurde. Auch wenn diese Rechtsprechung primär den vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff betreffe, enthielten diese Entscheidungen darüber hinaus auch Aussagen zum arbeitsvertraglichen Arbeitszeitbegriff, da in den Urteilen auch ausgeführt wurde, dass zu den "versprochenen Diensten" im Sinne des damals einschlägigen § 611 Abs. 1 BGB nicht nur die eigentliche Tätigkeit zähle, sondern jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhänge. "Arbeit" als Leistung der versprochenen Dienste im Sinne des § 611 Abs. 1 BGB sei somit jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses diene.
Insoweit handelte es sich bei de...