BAG, Urteil vom 28.4.2021, 7 AZR 212/20
1. Haben die Arbeitsvertragsparteien einen befristeten Vertrag ohne Sachgrund nach § 14 Abs. 2 TzBfG abgeschlossen und vereinbart, dass der Arbeitnehmer am Tag vor dem festgelegten Vertragsbeginn zu einer auswärtigen Schulungsveranstaltung anreist, kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass das Arbeitsverhältnis bereits am Tag der Anreise beginnen solle; denn eine Anreise des Klägers zu der Schulung ist nicht nur im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses möglich.
2. Die Zuweisung einer anderweitigen Tätigkeit im Rahmen der Ausübung des Direktionsrechts erfordert keine Vertragsänderung und steht daher der Verlängerung eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG nicht entgegen.
Sachverhalt
Der Kläger bewarb sich auf eine vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ausgeschriebene Stelle als Anhörer in der Vorbereitung von Asylentscheidungen am Standort in D. Daraufhin wurde ihm mitgeteilt, dass man beabsichtige, ihn befristet für den Zeitraum vom 5.9.2016 bis zum 4.3.2017 einzustellen. Vor Beginn der Tätigkeit sollte er an einer 3-wöchigen Schulung in N. teilnehmen, um auf die zukünftige Tätigkeit vorbereitet zu werden. Die Kosten der Reise sowie Übernachtung sollten übernommen werden. Am 29.8.2016 unterschrieb der Kläger den von Arbeitsgeberseite schon am 24.8.2019 unterzeichneten Arbeitsvertrag, wonach er ab dem 5.9.2016 befristet ohne sachlichen Grund nach § 14 Abs. 2 TzBfG bis zum 4.3.2017 eingestellt werden solle. Mit E-Mail vom 3.9.2016 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er vom 4.9.2016 bis zum 13.9.2016 ein Hotelzimmer am Schulungsort reserviere. Wie angekündigt reiste der Kläger am 4.9.2016 zum Schulungsort und nahm an der Schulung teil. Die hierbei anfallenden Kosten übernahm die Beklagte. Im Anschluss an die Schulung wurde der Kläger als Anhörer im Asylverfahren in der Außenstelle D. beschäftigt. Mit Schreiben vom 6.2.2017 lud die Beklagte den Kläger zur Teilnahme an der „Aufschulung vom/von Anhörer/in zum/zur Entscheider/in (Schulungsthema Bescheiderstellung) für den Zeitraum vom 20.2.2017 bis zum 24.2.2017 ein. Im Anschluss an die erfolgreiche Teilnahme an der Aufbauschulung wurde der Kläger von der Beklagten als Entscheider in D eingesetzt. Zwischenzeitlich wurde mit einem schriftlichen Vertrag vom 3./7.2.2017 der Vertrag des Klägers bis zum 4.9.2018 verlängert.
Der Kläger erhob nun Klage, indem er u. a. die Unwirksamkeit der im Änderungsvertrag vereinbarten Befristungsabrede sowie die vorläufige Weiterbeschäftigung geltend machte. Er vertrat die Ansicht, dass die nach § 14 Abs. 2 TzBfG zulässige 2-jährige Höchstbefristungsdauer überschritten sei, da sein Arbeitsverhältnis bereits am 4.9.2016 mit der Anreise zum Schulungsort begonnen habe; denn mit dem Antritt der Dienstreise habe er sich den Anweisungen der Beklagten unterstellt und am Dienstreisetag nicht über seine Freizeit verfügen können. Ferner sei der Ausgangsvertrag im Februar 2017 nicht lediglich verlängert worden, da die Parteien zugleich eine Änderung der Arbeitsbedingungen vom Anhörer zum Entscheider vereinbart hätten. Außerdem sei seine Beschäftigung ohne Zustimmung der Personalvertretung erfolgt.
Die Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg. Die Befristung war nach § 14 Abs. 2 TzBfG gerechtfertigt.
Das BAG entschied, dass die zulässige Höchstbefristungsdauer von 2 Jahren vorliegend nicht überschritten sei; denn das Arbeitsverhältnis der Parteien habe entgegen der Ansicht des Klägers nicht bereits am 4.9.2016, sondern wie im Arbeitsvertrag vereinbart, erst am 5.9.2016 begonnen. Das Gericht führte hierzu aus, dass eine Anreise des Klägers zu der Schulung nicht nur im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses möglich sei. Insbesondere folge aus dem Umstand, dass betrieblich veranlasste Reisezeiten im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses – vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung – grds. vergütungspflichtige Arbeitszeit darstelle, nicht zugleich, dass die Anreise des Klägers zu der Schulung nur auf der Grundlage eines bestehenden Arbeitsverhältnisses möglich sei. Zudem könne, so die weiteren Ausführungen, "Arbeit" als Leistung versprochener Dienste nicht nur im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses möglich sein; denn bspw. entspreche es der gefestigten Rechtsprechung des BAG, dass eine Prozessbeschäftigung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung eines titulierten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs kein Arbeitsverhältnis begründe. Des Weiteren zeige das anerkannte Rechtsinstitut des "faktischen bzw. fehlerhaften Arbeitsverhältnisses", dass die Erbringung von Arbeit nicht notwendig zum Abschluss eines Arbeitsvertrags führe.
Auch könne aus der Erstattung von Reise- und Übernachtungskosten nicht auf das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses geschlossen werden; insbesondere sehe auch das Bundesreisekostengesetz, welches auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung fand, die Möglichkeit zur Erstattung von Reisekosten nicht nur in einem bestehenden ...