BAG, Urteil vom 25.11.2021, 8 AZR 313/20
Der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, begründet die Vermutung i. S. v. § 22 AGG, dass der erfolglose schwerbehinderte Bewerber im Stellenbesetzungsverfahren wegen der Schwerbehinderung nicht berücksichtigt und damit wegen der Schwerbehinderung benachteiligt wurde. Hierzu gehört auch die Vorschrift § 165 Satz 1 SGB IX, wonach die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit frühzeitig frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze zu melden haben. Allein die Veröffentlichung des Stellenangebots über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit reicht für die Erfüllung dieser Pflicht nicht aus.
Sachverhalt
Der beklagte Landkreis veröffentlichte im November 2017 über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit ein Stellenangebot über einen "Arbeitsplatz als Führungskraft", eine Stelle als "Amtsleiter/in Rechts- und Kommunalamt (Jurist/in)". Gemäß der Stellenausschreibung sollte das Aufgabengebiet u. a. die Leitung des Rechts- u. Kommunalamts mit seinerzeit ca. 20 Bediensteten umfassen. Es wurde hierbei ein abgeschlossenes weiterführendes wissenschaftliches Hochschulstudium (Master oder gleichwertiger Abschluss) in der Fachrichtung Rechtswissenschaften bzw. 2. juristisches Staatsexamen (Volljurist/in) sowie mehrjährige einschlägige Berufserfahrung und mehrjährige einschlägige Führungserfahrung vorzugsweise in einer vergleichbaren Führungsposition hinsichtlich der Führungsspanne und des Aufgabenbereichs im kommunalen Bereich erwartet.
Der Kläger, mit einem GdB von 50 schwerbehindert, bewarb sich unter Angabe seiner Schwerbehinderung auf die ausgeschriebene Stelle. Er wurde jedoch nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, sondern erhielt Mitte April ein Schreiben, in welchem ihm mitgeteilt wurde, dass sich der beklagte Landkreis für einen anderen Bewerber entschieden habe. Er klagte nun auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG mit der Begründung, der beklagte Landkreis habe ihn wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert, da entgegen den Vorgaben von § 165 SGB IX der freie Arbeitsplatz nicht der zuständigen Agentur für Arbeit gemeldet wurde und man ihn nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen habe, obwohl ihm – entgegen der Annahme des beklagten Landkreises – die fachliche Eignung nicht offensichtlich gefehlt habe. Des Weiteren begründete er sein Vorbringen damit, dass der Landkreis seine Beschwerde gem. § 13 AGG nicht beantwortet habe, was die Vermutung begründe, dass er wegen der Schwerbehinderung nicht berücksichtigt worden sei.
Die Entscheidung
Während die Vorinstanzen die Klage abgewiesen hatten, hatte das Begehren des Klägers vor dem BAG Erfolg.
Das Gericht urteilte, dass der beklagte Landkreis den Kläger wegen der Schwerbehinderung benachteiligt habe und ihm deshalb die Zahlung einer angemessenen Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG schulde. Es begründete dies damit, dass es zum einen entgegen § 165 Satz 1 SGB IX unterlassen worden sei, den ausgeschriebenen, mit schwerbehinderten Menschen besetzbaren Arbeitsplatz der zuständigen Agentur für Arbeit zu melden. Die Veröffentlichung des Stellenangebots über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit stelle keine Meldung i. S. v. § 165 Satz 1 SGB IX dar; dies begründe die Vermutung, dass der Kläger im Auswahlverfahren wegen der Schwerbehinderung nicht berücksichtigt worden und er somit wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden sei. Insoweit konnte es dahingestellt bleiben, ob weitere Verstöße gegen die zugunsten schwerbehinderter Menschen getroffenen Verfahrens- und/oder Förderpflichten vorlagen oder ob die unterbliebene Beantwortung der Beschwerde des Klägers ein Indiz nach § 22 AGG für eine Benachteiligung des Klägers sei.