Entscheidungsstichwort (Thema)
ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: SOZIALGERICHT NUERNBERG - DEUTSCHLAND. SOZIALE SICHERHEIT. FAMILIENBEIHILFEN. WOHNSITZ IM INLAND. Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer. Familienleistungen. Arbeitnehmer, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt. Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen. Anspruch auf Leistungen nach den für den Arbeitnehmer geltenden Rechtsvorschriften. Leistung für ein unterhaltsberechtigtes Kind. Voraussetzung des Wohnsitzes des Kindes und des Ehegatten des Erwerbstätigen in dem die Leistung erbringenden Mitgliedstaat infolge einer Verweisung der sozialrechtlichen Vorschriften dieses Staates auf seine steuerrechtlichen Vorschriften. Fiktion der Erfüllung der Voraussetzung
Leitsatz (amtlich)
Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 ist dahin auszulegen, daß dann, wenn die steuerrechtlichen Vorschriften eines Mitgliedstaats, auf die seine sozialrechtlichen Vorschriften verweisen, die Gewährung und die Höhe einer Leistung für ein unterhaltsberechtigtes Kind davon abhängig machen, daß das Kind und der Ehegatte des Erwerbstätigen im Inland wohnen, diese Voraussetzung als erfüllt anzusehen ist, wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat wohnen. Hinsichtlich der Gewährung und der Berechnung der fraglichen Leistung sind alle einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften so anzuwenden, als wohnte der Ehegatte im Leistungsstaat.
Denn der in dieser Bestimmung enthaltenen und für alle Familienangehörigen geltenden Wohnsitzfiktion, mit der vermieden werden soll, daß der EG-Erwerbstätige von einer Nutzung seines Rechts auf Freizuegigkeit abgehalten wird, würde ein Grossteil ihrer praktischen Wirksamkeit genommen, wenn sie durch den blossen Verweis auf steuerrechtliche Vorschriften unterlaufen werden könnte.
Normenkette
EWGV 1408/71 Art. 73
Beteiligte
Tenor
1) Artikel 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3427/89 des Rates vom 30. Oktober 1989 ist dahin auszulegen, daß dann, wenn die die steuerrechtlichen Vorschriften eines Mitgliedstaats, auf die seine sozialrechtlichen Vorschriften verweisen, die Gewährung und die Höhe einer Leistung für ein unterhaltsberechtigtes Kind davon abhängig machen, daß das Kind im Inland wohnt, diese Voraussetzung als erfüllt anzusehen ist, wenn das Kind in einem anderen Mitgliedstaat wohnt.
2) Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 ist dahin auszulegen, daß dann, wenn die steuerrechtlichen Vorschriften eines Mitgliedstaats, auf die seine sozialrechtlichen Vorschriften verweisen, die Gewährung und die Höhe einer Leistung für ein unterhaltsberechtigtes Kind davon abhängig machen, daß der Ehegatte des betroffenen Erwerbstätigen im Inland wohnt, diese Voraussetzung als erfüllt anzusehen ist, wenn der Ehegatte in einem anderen Mitgliedstaat wohnt. Hinsichtlich der Gewährung und der Berechnung der fraglichen Leistung sind alle einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften so anzuwenden, als wohnte der Ehegatte im Leistungsstaat.
Gründe
1 Das Sozialgericht Nürnberg hat mit Beschluß vom 26. April 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Juni 1993 und berichtigt mit Beschluß vom 2. Juli 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Juli 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung des Artikels 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3427/89 des Rates vom 30. Oktober 1989 (ABl. L 331, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit über die Weigerung der Bundesanstalt für Arbeit, Kindergeldkasse, dem Kläger für die Zeit von September bis Dezember 1988 neben dem Kindergeld den Zuschlag zum Kindergeld in voller Höhe zu gewähren.
3 Dieser Zuschlag für Anspruchsberechtigte mit geringem Einkommen ist in § 11a des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) geregelt. Die Absätze 1 und 6 dieser Bestimmung (in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. Januar 1990, BGBl. I S. 149) lauten:
„(1) Das Kindergeld für die Kinder, für die dem Berechtigten der Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes zusteht, erhöht sich um den nach Absatz 6 bemessenen Zuschlag, wenn das zu versteuernde Einkommen (§ 2 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes) des Berechtigten geringer ist als der Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes. Das zu versteuernde Einkommen wird berücksichtigt, soweit und wie es der Besteuerung zugrunde gelegt wurde; soweit erheblich, ist das zu versteuernde Einkommen als Negativbetrag festzustellen. Ist die tarifliche Einkommensteuer nach § 32a Abs. 5 ...