Entscheidungsstichwort (Thema)
Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Begriff des ordnungsgemäßen Wohnsitzes. Nach Ablauf der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis gestellter Verlängerungsantrag
Normenkette
EWG Art. 7 S. 1 des Beschlusses Nr. 1/80/
Beteiligte
Tenor
Ein türkischer Staatsangehöriger, der die Genehmigung erhalten hat, im Rahmen der Familienzusammenführung mit einem dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmer in diesen Mitgliedstaat einzureisen, dort mehr als fünf Jahre einen ordnungsgemäßen Wohnsitz hatte und mit Unterbrechungen verschiedene ordnungsgemäße Beschäftigungen ausgeübt hat, verliert nicht die sich aus Artikel 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation, der von dem durch das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschaffenen Assoziationsrat erlassen wurde, für ihn ergebenden Rechte, namentlich den Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmemitgliedstaat, auch wenn deren Geltungsdauer zum Zeitpunkt der Stellung des Verlängerungsantrags abgelaufen war und dieser von den zuständigen nationalen Behörden abgelehnt worden ist.
Gründe
1.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluß vom 15. Juli 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 22. September 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag(jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung des Artikels 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im folgenden: Beschluß Nr. 1/80) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Assoziationsrat wurde durch das am 12.September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnete Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EuropäischenWirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschaffen, das durch den Beschluß 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde.
2.
Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen dem 1967 geborenen türkischen Staatsangehörigen Sezgin Ergat (Kläger) und der Stadt Ulm über die Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis in Deutschland.
Der Beschluß Nr. 1/80
3.
Die Artikel 6, 7 und 14 des Beschlusses Nr. 1/80 finden sich in Kapitel II (SozialeBestimmungen), Abschnitt 1 (Fragen betreffend die Beschäftigung und dieFreizügigkeit der Arbeitnehmer).
4.
Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 lautet:
Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat
nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jedervon ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.
5.
Artikel 7 des Beschlusses Nr. 1/80 bestimmt:
Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaatesangehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedesStellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn-oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.
Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war.
6.
Artikel 14 Absatz 1 lautet:
Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen deröffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.
Das Ausgangsverfahren
7.
Ausweislich der Akten des Ausgangsverfahren erhielt der Kläger im Oktober 1975 die Genehmigung, nach Deutschland zu seinen Eltern zu ziehen, die dort beide als Arbeitnehmer beschäftigt waren.
8.
Seit 1983 besaß der Kläger in dies...