BAG, Beschluss vom 1.2.2024, 2 AZR 196/22 (A)
Darf ein der katholischen Kirche zugeordneter Arbeitgeber, der von den bei ihm tätigen Arbeitnehmern im Übrigen nicht verlangt, dass sie der katholischen Kirche angehören, das Arbeitsverhältnis allein aufgrund der Beendigung der Mitgliedschaft zur katholischen Kirche kündigen, wenn der Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses aus der katholischen Kirche austritt?
Sachverhalt
Der beklagte Verein, ein Frauen- und Fachverband der katholischen Kirche, widmet sich der Hilfe für Kinder, Jugendliche, Frauen und ihre Familien in besonderen Lebenslagen und berät schwangere Frauen.
Die Klägerin ist hier seit dem Jahr 2006 in der Schwangerschaftsberatung beschäftigt. Während ihrer Elternzeit trat sie aus der Kirche aus. Nach Beendigung ihrer Elternzeit kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.12.2019, nachdem er zuvor erfolglos versucht hatte, die Klägerin zum Wiedereintritt in die katholische Kirche zu bewegen. Zum Zeitpunkt der Kündigung waren in der Schwangerschaftsberatung 4 Arbeitnehmerinnen beschäftigt, die der katholischen Kirche und 2 Arbeitnehmerinnen, die der evangelischen Kirche angehörten.
Die Klägerin erhob Klage.
Die Entscheidung
Das ArbG und das LAG hielten die Kündigungen für unwirksam. Auf die Revision der Beklagten hat das BAG das Verfahren ausgesetzt und den EuGH um die Beantwortung von Fragen zur Auslegung des Unionsrechts ersucht.
Nach Auffassung des BAG sei zu klären, ob die Ungleichbehandlung der Klägerin mit Arbeitnehmern, die niemals Mitglied der katholischen Kirche waren, vor dem Hintergrund des durch Art. 10 Abs. 1, Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf gewährleisteten Schutzes vor Diskriminierungen u. a. wegen der Religion gerechtfertigt sein kann.
Das BAG hat dem EuGH folgende Fragen vorgelegt:
Ist es mit Unionsrecht, insbesondere der Richtlinie 2000/78/EG im Licht von Art. 10 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 der Charta vereinbar,
- wenn eine nationale Regelung vorsieht, dass eine private Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen beruht,
- von den für sie arbeitenden Personen verlangen kann, während des Arbeitsverhältnisses nicht aus einer bestimmten Kirche auszutreten
- oder den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses davon abhängig machen darf, dass eine für sie arbeitende Person, die während des Arbeitsverhältnisses aus einer bestimmten Kirche ausgetreten ist, dieser wieder beitritt,
- wenn sie von den für sie arbeitenden Personen im Übrigen nicht verlangt, dieser Kirche anzugehören
- und die für sie arbeitende Person sich nicht öffentlich wahrnehmbar kirchenfeindlich betätigt?
- Sofern die 1. Frage bejaht wird: Welche ggf. weiteren Anforderungen gelten gem. der Richtlinie 2000/78/EG im Licht von Art. 10 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 der Charta an die Rechtfertigung einer solchen Ungleichbehandlung wegen der Religion?
Anmerkung:
Ein im Jahr 2022 eingeleitetes Vorabentscheidungsverfahren (BAG, Beschluss v. 21.7.2022, 2 AZR 130/21 (A)) mit einem ähnlichen Gegenstand (hier ging es um die Kündigung einer Hebamme wegen Austritts aus der katholischen Kirche vor Begründung des Arbeitsverhältnisses) ist durch ein Anerkenntnis der Arbeitgeberin gegenstandslos geworden (BAG, Urteil v. 14.12.2023, 2 AZR 130/21).