BAG, Urteil vom 23.11.2023, 8 AZR 164/22
Leitsatz (amtlich)
Die Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers zur Einladung schwerbehinderter Menschen zu einem Vorstellungsgespräch nach § 165 Satz 3 SGB IX beinhaltet auch das Erfordernis einen Ersatztermin anzubieten, wenn der sich bewerbende schwerbehinderte Mensch seine Verhinderung vor der Durchführung des vorgesehenen Termins unter Angabe eines hinreichend gewichtigen Grundes mitteilt und dem Arbeitgeber die Durchführung eines Ersatztermins zumutbar ist.
Sachverhalt
Die schwerbehinderte klagende Partei wurde zweigeschlechtlich geboren und bezeichnet sich selbst als Hermaphrodit. Sie bewarb sich unter Angabe der Schwerbehinderung auf eine Stellenausschreibung der beklagten Stadt. Hierin wurde für die Ausländerbehörde "Fallmanager*innen im Aufenthaltsrecht" gesucht, wobei "schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber" gleicher Eignung und Qualifikation bevorzugt behandelt würden.
In ihrer Bewerbung bat die klagende Partei im Rahmen des Auswahlverfahrens die Anrede "Sehr geehrte* Herm F" zu verwenden. Die Abkürzung "Herm" stehe für die 1. 4 Buchstaben von Hermaphrodit.
Mit E-Mail vom 4.11.2019 lud die Beklagte sie zu einem Vorstellungsgespräch am Montag, dem 18.11.2019, um 12.30 Uhr in den Räumen der Beklagten ein mit der Bitte um eine kurze telefonische Nachricht, sofern sie diesen Termin nicht wahrnehmen könne. Die Beklagte verwendete hierbei jedoch die Anrede "Sehr geehrte(r) Frau/Herr F".
Am 6.11.2019 teilte die klagende Partei per E-Mail mit, dass sie am 18.11.2019 "schon einen anderen Termin in Brandenburg" habe, weshalb sie um einen Ersatztermin bitte. Allerdings betrug in der Ausländerbehörde der Beklagten die Wartezeit für terminierte Vorsprachen bei Fallmanager/innen in dieser Zeit bis zu 7 Monaten; denn die Beklagte führte im Jahr 2019 insgesamt 202 Stellenbesetzungsverfahren durch, woran neben der Personalverwaltung und der Leitung des jeweiligen Fachdienstes, in dem die Stelle zu besetzen war, der Personalrat, die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte sowie die Schwerbehindertenvertretung teilnahmen. Deshalb teilte die Beklagte der klagenden Partei mit E-Mail vom 7.11.2019 unter der Anrede "Sehr geehrte Herm F" mit, dass kein Ersatztermin eingeräumt werden könne, weil das Stellenbesetzungsverfahren nicht weiter verzögert werden solle. Die Auswahlkommission könne aufgrund anderer Termine zeitnah nicht nochmals zusammenkommen.
Nachdem die klagende Partei nicht zum Vorstellungsgespräch am 18.11.2019 erschien, erhob sie Klage auf Entschädigung. Sie begründete dies damit, dass sie sowohl wegen ihres Geschlechts als auch ihrer Behinderung im Auswahlverfahren diskriminiert worden sei; denn zum einen indiziere die Verwendung des Gendersterns ("Fallmanager*innen") in der Stellenausschreibung eine Diskriminierung von Menschen, die – wie sie – weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht angehörten; denn der Genderstern stelle keine geschlechtsneutrale Formulierung dar, sondern schließe Hermaphroditen als biologisch und genetisch eigenständige Gruppe aus. Zudem habe die Beklagte gegen ihre nach § 165 Satz 3 SGB IX bestehende Pflicht zur Einladung schwerbehinderter Menschen zu einem Vorstellungsgespräch verstoßen, da sie auf die begründete Absage des angebotenen Termins trotz entsprechender Bitte keinen Alternativtermin angeboten hatte.
Die Entscheidung
Die Klage war in allen Instanzen erfolglos.
Das BAG entschied, dass die klagende Partei keinen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG habe, da die entsprechenden Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Auch wenn die klagende Partei durch die Zurückweisung ihrer Bewerbung unmittelbar i. S. d. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt worden war, habe sie nicht hinreichend dargelegt, dass sie diese Benachteiligung i. S. d. § 7 Abs. 1 AGG wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bzw. wegen ihrer Schwerbehinderung nach § 164 Abs. 2 SGB IX erfahren habe. Das Gericht führte aus, dass zwischen der Benachteiligung und einem in § 1 AGG genannten Grund bzw. zwischen der Benachteiligung und der Schwerbehinderung ein Kausalzusammenhang bestehen müsse. Grundsätzlich trage diejenige Person, die einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend mache, die Darlegungslast für das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen. Zwar sehe § 22 AGG für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor; denn wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweise, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bzw. einer Schwerbehinderung vermuten lassen, trage die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen habe. Es bedürfe jedoch des Vortrags von Indizien, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen ließen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bzw. wegen der Schw...