Nach den aktuellen BAG-Entscheidungen kann die bisher vertretene Rechtsauffassung, wonach der tarifliche Mehrurlaubsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiterhin seine Erfüllbarkeit bei gedachter Fortdauer des Arbeitsverhältnisses voraussetzt, nicht mehr aufrecht erhalten werden.
Der Neunte Senat hat wiederholt entschieden, dass der Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs aufgrund lang andauernder Arbeitsunfähigkeit nach § 7 Abs. 4 BUrlG ein reiner Geldanspruch ist (BAG vom 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 -, fortgeführt mit Urteil vom 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 -). Mit seiner Entscheidung vom 19. Juni 2012 - 9 AZR 652/10 - hat das BAG die Surrogatstheorie nun ausdrücklich insgesamt aufgegeben, also auch für den Fall, dass die/der ausscheidende Beschäftigte arbeitsfähig ist (= vollständige Aufgabe der Surrogatstheorie). Der Abgeltungsanspruch sei nach § 7 Abs. 4 BUrlG in seiner Rechtsqualität ein einheitlicher Anspruch. Die Vorschrift differenziere nicht zwischen arbeitsunfähigen und arbeitsfähigen Arbeitnehmern. Das verbiete es, die Surrogatstheorie nur für Abgeltungsansprüche fortdauernd arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer aufzugeben (Juris-Rz. 18 a. a. O.).
Das BAG hat die richtlinienkonforme Rechtsauslegung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit zur freien Vereinbarung der Verfallsregeln für den tarifvertraglichen Mehrurlaub durch die Tarifvertragsparteien bestätigt und mit seiner aktuellen Rechtsprechung weiter ausgeführt. Mit Urteil vom 22. Mai 2012 - 9 AZR 618/10 - hat der Senat über die Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs im Geltungsbereich des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) entschieden. Der TV-L in der jetzt gültigen Fassung enthält zum Fristenregime sowie zur Verweisung auf Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes inhaltsgleiche Bestimmungen wie der TVöD; insoweit findet die vorgenannte Rechtsprechung auch für die Beschäftigten des Bundes im Geltungsbereich des TVöD Anwendung. In seinen Entscheidungsgründen weist der Senat erneut darauf hin, dass für den Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, zwischen Ansprüchen auf Abgeltung von Mindest- und Mehrurlaub differenzieren zu wollen, deutliche Anhaltspunkte bestehen müssen. Ob ein Gleichlauf von gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichen Mehrurlaub vorliege, müsse nach Ansicht des Gerichts anhand der einschlägigen tariflichen Bestimmungen zu den jeweiligen Regelungsgegenständen (Fristenregime und Abgeltungsanspruch) gesondert untersucht werden; dabei erfolgt die Beurteilung jeweils unabhängig voneinander. Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass diese Unterscheidung im Tarifvertrag für die Urlaubsabgeltung nicht getroffen wurde. Die Tarifvertragsparteien hätten keine eigenständigen Regelungen zur Abgeltung von Urlaubsansprüchen getroffen, sondern lediglich auf die Bestimmungen zum gesetzlichen Mindesturlaub Bezug genommen. Damit richten sich alle Urlaubsabgeltungsansprüche einheitlich nach § 7 Abs. 4 BUrlG, und zwar unabhängig davon, ob die/der Beschäftigte zu diesem Zeitpunkt arbeitsfähig oder arbeitsunfähig ist. Der sich daraus ergebende Gleichlauf bei der Abgeltung von Urlaubsansprüchen lässt nach vollständiger Aufgabe der Surrogatstheorie auch den tariflich noch nicht verfallenen Mehrurlaub als reinen Geldanspruch aus dem Arbeitsverhältnis bei dessen Beendigung entstehen.