Zusammenfassung
1. Einleitung
In Folge der unionsrechtlichen Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in den Urteilen vom 22. April 2010 - C-486/08 ("Tirol"-Entscheidung) und vom 13. Juni 2013 - C-415/12 ("Brandes"-Entscheidung) gab das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit der o. g. Entscheidung vom 10. Februar 2015 – 9 AZR 53/14 (F) – seine bisherige Rechtsprechung auf. Danach war der Urlaubsanspruch bei einer anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit als auf fünf Tage in der Woche grundsätzlich umzurechnen; der Senat hatte eine Diskriminierung von Teilzeitkräften durch die Umrechnung verneint (vgl. BAG vom 28. April 1998 - 9 AZR 314/97 - [Juris-Rz. 38]).
Der bis dahin vertretenen Rechtsauffassung, die das BAG seitdem aufgegeben hat, lag der Gedanke zu Grunde, dass sich der Gesamturlaubsanspruch nicht nach den bereits erbrachten Arbeitsleistungen richtet, sondern nach der bei Inanspruchnahme des Urlaubs maßgebenden Arbeitszeitverteilung (s. Juris-Rz. 30 a. a. O.). Der für das Urlaubsrecht zuständige Neunte Senat des BAG passte in seiner Entscheidung vom 10. Februar 2015 – 9 AZR 53/14 (F) – seine Rechtsprechung den unionsrechtlichen Vorgaben des EuGH an. Danach steht "die Inanspruchnahme des Jahresurlaubs zu einer späteren Zeit als dem Bezugszeitraum in keiner Beziehung zu der in dieser späteren Zeit vom Arbeitnehmer erbrachten Arbeitszeit". Folglich dürfe "durch eine Veränderung, insbesondere eine Verringerung der Arbeitszeit beim Übergang von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung der Anspruch auf Jahresurlaub, den der Arbeitnehmer in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworben hat, nicht gemindert werden" (s. "Brandes" Rz. 30). Der EuGH nimmt bei Änderungen des Arbeitszeitmodells im Laufe des Kalenderjahres eine dem jeweiligen Beschäftigungsmodell entsprechende abschnittsbezogene Betrachtung vor. Abweichend vom deutschen Urlaubsrecht ordnet der EuGH dabei die Entstehung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs anteilig jeweils "fiktiven" Abschnitten vor und nach dem Änderungsstichtag zu.
Der EuGH hatte in einem weiteren Urteil vom 11. November 2015 – C-219/14 (Rechtssache "Greenfield") – seine unionsrechtlichen Vorgaben zur Berechnung der Urlaubsansprüche in einem Fall der Erhöhung der Arbeitszeit dann weiter präzisiert (dazu s. u. Ziffer 1.2) und zur Berechnung des nach Art. 7 der (EU-Arbeitszeit-) Richtlinie 2003/88 gewährleisteten Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub Folgendes klargestellt: Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub werden im Hinblick auf den im Arbeitsvertrag vorgesehenen Arbeitsrhythmus erworben und sind dementsprechend zu berechnen (Rz. 29, 33 a. a. O.). Der EuGH schlussfolgert daraus, dass die Zeiträume, in denen der Arbeitnehmer nach verschiedenen Arbeitsrhythmen arbeitetet, für die Berechnung des Urlaubsanspruchs voneinander zu unterscheiden und die Urlaubsansprüche für jeden Zeitraum getrennt zu berechnen sind (Rz. 35 a. a. O.). Im Ergebnis ordnet der EuGH damit also dem Urlaubsanspruch die Wertigkeit zu, die sich aus dem jeweiligen Zeitraum vor und nach der Änderung des Beschäftigungsmodells ergibt (d. h. rechnerisch müssen vor und nach dem betreffenden Änderungsstichtag "fiktive" Abschnitte gebildet werden).
Zwischenzeitlich liegen mehrere Entscheidungen des BAG dazu vor, wie die vorstehenden unionsrechtlichen Vorgaben im deutschen Urlaubsrecht umzusetzen sind. Die Rechtsprechung des BAG ist hierbei stetig im Fluss: