Zusammenfassung
BEZUG
- Urteile des Europäischen Gerichtshof (EuGH) vom 20.01.2009 -C-350/06 und C-520/06 (verbundene Rechtssachen Schultz-Hoff und Stringer), vom 22.11.2011 - C-214/10 (verbundene Rechtssache KHS AG) und vom 24.01.2012 - C-282/10 (verbundene Rechtssache Dominguez)
- Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 24.03.2009 - 9 AZR 983/07- sowie vom 09.08.20119 AZR 425/10 - 9 AZR 352/10 -, 9 AZR 365/10, und 9 AZR 475/10 und vom 22.05.2012 – 9 AZR 575/10 –
- Meine Rundschreiben vom 15.07.2009 und 25.08.2008 - D 5 – 220 210-2/26 -
A Vorbemerkung
Mit Rundschreiben vom 15. Juli 2009 wurden Durchführungshinweise zum Verfall von Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit im Anschluss an die Grundsatzentscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Schultz-Hoff und Stringer gegeben. Seitdem ist das Urlaubsrecht durch weitere bedeutsame Entscheidungen des EuGH und des BAG weiterentwickelt worden. Ziel dieses Rundschreibens ist deshalb, unter Aufhebung des Rundschreibens vom 15. Juli 2009 die aktuelle Rechtslage zusammenfassend darzustellen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass noch nicht zu allen Aspekten, die sich aus der Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den EuGH für das deutsche Urlaubsrecht ergeben, höchstrichterliche Entscheidungen vorliegen. Mit weiteren Änderungen ist daher zu rechnen. Soweit zu wesentlichen Fragen Entscheidungen des BAG noch ausstehen, wird im Folgenden versucht, Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen, wie die Personal-stellen bis zu einer endgültigen Klärung der Rechtslage verfahren können.
Ausgangspunkt ist, dass bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit weder der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch noch der Anspruch auf dessen Abgeltung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums verfallen. Die frühere Rechtsprechung des BAG, nach der auch in diesen Fällen die urlaubsrechtlichen Verfallsfristen ohne Rücksicht auf die tatsächliche Möglichkeit der Inanspruchnahme anzuwenden sind, ist somit obsolet.
Übertragbarkeit und Abgeltung des Urlaubsanspruchs sind in § 7 Abs. 3 und 4 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) geregelt. Danach muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr oder im Übertragungszeitraum - den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres - gewährt und genommen werden. Kann er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, ist er abzugelten. Die Geltung dieser Regelungen wird in § 26 TVöD nur mit den dort aufgeführten Maßgaben angeordnet. Diese tariflichen Maßgaben zeigen deutlich, dass die Tarifvertragsparteien hier ein eigenes Rechtsregime schaffen wollten, welches inhaltlich von dem des BUrlG abweicht (s. dazu Abschnitte B und E). Darüber hinaus ist mit Rundschreiben vom 25. August 2008 für die Tarifbeschäftigten des Bundes übertariflich geregelt worden, dass für die Übertragung von Erholungsurlaub der Tarifbeschäftigten in das Folgejahr die für Beamtinnen und Beamte des Bundes gemäß § 7 Erholungsurlaubsverordnung jeweils geltende Regelung Anwendung findet.
B Entscheidungen des EuGH vom 20. Januar 2009 – C – 350/06 (verbundene Rechtssache Schultz-Hoff) und des BAG vom 24. März 2009 und vom 22. Mai 2012
Der EuGH hat in seiner Schultz-Hoff-Entscheidung erkannt, dass der von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299, S. 9, im Folgenden: Arbeitszeitrichtlinie) gewährleistete Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen auch entsteht, wenn der Arbeitnehmer im gesamten Bezugszeitraum (Bezugszeitraum ist nach dem BUrlG wie nach dem TVöD das Kalenderjahr) oder in Teilen davon arbeitsunfähig ist. Des weiteren ist nach dieser Entscheidung eine nationale Regelung unzulässig, nach der der Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen bei Ablauf des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums erlischt, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums und/oder des Übertragungszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben war und deshalb nicht die Möglichkeit hatte, seinen Urlaubsanspruch in dieser Zeit auszuüben. Das Gleiche gilt für den Anspruch auf Abgeltung, wenn bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Mindestjahresurlaub wegen Krankheit nicht genommen werden konnte. Dementsprechend hat das BAG seine entgegenstehende bisherige Rechtsprechung aufgegeben. Es legt nunmehr § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG richtlinienkonform aus. Im Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Bezugs- und/oder des Übertragungszeitraums bestehen danach die zeitlichen Beschränkungen des § 7 Abs. 3 Satz 1, 3 und 4 BUrlG weder für den gesetzlichen Mindesturlaub noch für den entsprechenden Abgeltungsanspruch. Im Ergebnis erlöschen gesetzliche Mindesturlaubsansprüche und entsprechende Abgeltungsansprüche nicht, wenn Beschäftigte bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums bzw. darüber hinaus erkrankt und deshalb arbeitsunfähig sind.
Die bereits in Folge der Schultz-Hoff Entscheidung festgestellten Grundsätze des BAG, wonach die Tarifvertragsparteien die Urlau...