Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung während eines Arbeitskampfs. Entgeltfortzahlung, Streik, Ursächlichkeit, Unmöglichkeit
Leitsatz (amtlich)
Entgeltfortzahlungsanspruch eines während eines Arbeitskampfs arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers, weil der Betrieb während des Streiks nicht stillgelegt gewesen ist und ein Arbeitseinsatz bei bestehender Arbeitsfähigkeit auf verschiedenen Baustellen möglich gewesen wäre.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3; EFZG § 3 Abs. 1 S. 1, § 4 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 20.02.2003; Aktenzeichen 3 Ca 9131/02) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 20. Februar 2003 – 3 Ca 9131/02 – abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 732,07 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. November 2002 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung für die Zeit eines Arbeitskampfes.
Die Beklagte betreibt ein Bauunternehmen in den Bereichen Tief- und Rohrleitungsbau. Sie setzt hierzu ihre Mitarbeiter in Kolonnen ein, die von einem Polier geleitet werden. Der am 20. November 1948 geborene Kläger, der seit September 1977 bei der Beklagten als gehobener Baufacharbeiter beschäftigt ist, wurde im Jahr 2002 in der Kolonne des Poliers G. eingesetzt. Der Kläger erzielte im Juni 2002 einen Stundenlohn von EUR 12,83 brutto. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag über die Zahlung von Festbeträgen (im Folgenden: TV Festbeträge West), geschlossen zwischen dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e.V. und dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie sowie der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, vom 4. Juli 2002 Anwendung. Wegen der Einzelheiten dieser tariflichen Regelung wird auf die Kopie Bl. 32 f. d.A. Bezug genommen. Der Kläger war in der Zeit vom 11. bis 30. Juni 2002 arbeitsunfähig erkrankt. Der Betrieb der Beklagten wurde in der Zeit vom 18. bis 25. Juni 2002 bestreikt. In dieser Zeit wären 55,5 Arbeitsstunden angefallen. An dem Streik beteiligten sich aktiv 3 Arbeitnehmer, unter anderem auch die Poliere H. G. und N. G. Die Beklagte setzte auch während des Streiks in ihrem Betrieb mindestens 5 Arbeitskolonnen ein. Drei Kolonnen waren unter Leitung der Poliere B. S., U. W. und V. S. im Raum Darmstadt/Dieburg tätig. Weiterhin arbeiteten die Kolonne des Mitarbeiters D. M. im Rahmen eines Rohrleitungsnotdienstvertrags sowie eine Kolonne unter der Leitung des Arbeitnehmers C. C. mit Gasleitungsverlegearbeiten in Frankfurt. Die Beklagte meldete dem Arbeitsamt Frankfurt am Main den Streik (Bl. 79 d.A.). Sie erteilte dem Kläger für den Monat Juni 2002 eine Lohnabrechnung, aus der sich für diesen Abrechnungsmonat eine unbezahlte Fehlzeit von 55,5 Stunden ergibt (Bl. 17 d.A.). An Festbeträgen zahlte sie dem Kläger für die Monate Juni und Juli 2002 lediglich EUR 130,00 brutto aus. Der Kläger lies über seine Gewerkschaft mit Schreiben vom 5. September 2002 die Zahlung von EUR 20,00 brutto als Festbetrag (Bl. 34 f. d.A.) sowie mit Schreiben vom 18. Juli 2002 die Zahlung von EUR 902,91 brutto geltend machen (Bl. 5 d.A.).
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 1. November 2002, der Beklagten am 8. November
2002 zugegangen die Zahlungsklage mit einem Anspruch auf weitere Entgeltfortzahlung für den Zeitraum 11. bis 30. Juni 2002 begründet. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte schulde ihm für diesen Monat für weitere 55,5 Stunden Entgeltfortzahlung in Höhe von EUR 712,07 sowie weitere EUR 20,00 als Festbetrag gemäß TV Festbeträge West.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 732,07 brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, nicht zur Entgeltfortzahlung für den Zeitraum 18. bis 25. Juni 2002 verpflichtet zu sein, da der Kläger auch bei bestehender Arbeitsfähigkeit in diesem Zeitraum nicht auf einer Baustelle hätte eingesetzt werden können
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer des Streiks im Betrieb der Beklagten zu. Der Kläger sei dem Vortrag der Beklagten, die Baustellentätigkeit habe während des Streiks geruht, nicht entgegengetreten. Damit entfalle der Zahlungsanspruch aufgrund des Arbeitskampfrisikos.
Gegen das ihm am 1. April 2003 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem beim erkennenden Gericht am 28. April 2003 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 24. Juni 2003 eingegangen Schriftsatz begründet.
Der Kläger vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Er vertritt die Ansicht, ihm stehe auch für den Zeitraum des Streiks Entgeltfortzahlung zu. Er behauptet, es hätten nur 3 Arbeitnehmer der ...