Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindungswirkung. Zustellungserfordernis. Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall. dem Versicherungsträger zuzurechnendes Verhalten. Gesetzessystematik. sozialpolitisches Bedürfnis für Unfallentschädigungsansprüche nach dem historischen Willen des Gesetzgebers
Leitsatz (amtlich)
Die Anordnung einer Untersuchung zur Aufklärung des Sachverhalts gemäß § 555 RVO kann weder durch die objektive Notwendigkeit der Maßnahme noch durch Selbsthilfe des Versicherten oder durch die Aufforderung eines unzuständigen Arztes ersetzt werden.
Unfallversicherungsschutz wird vielmehr nur durch Anordnungen Zuständiger im Einflußbereich des Trägers der Unfallversicherung begründet, dessen Grenzen entweder allgemein oder im Einzelfall von diesem selber oder durch das Gesetz bestimmt sind.
Normenkette
RVO §§ 555, 1569a, 1590; SGG §§ 77, 96; VwZG § 9 Abs. 2
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Urteil vom 18.05.1977; Aktenzeichen S-4/U - 133/77) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. Mai 1977 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Entschädigung eines Unfalls gemäß § 555 Reichsversicherungsordnung (RVO) als Folge eines Arbeitsunfalls.
Der im Jahre 1919 geborene Kläger erlitt am 30. September 1964 einen Unfall, den er der Beklagten erstmals mit Schreiben vom 17. Januar 1972 meldete. Mit Bescheid vom 22. Dezember 1976 erkannte die Beklagte diesen Unfall als Arbeitsunfall gemäß § 548 RVO an und wurde mit rechtskräftigem Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main (SG) vom 10. Mai 1978 (S-4/U – 134/77) unter Abänderung dieses Bescheides verurteilt, dem Kläger wegen eines postthrombotischen Syndroms am rechten Bein vom 1. Januar 1972 ab Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. zu zahlen.
Der private Unfallversicherer des Klägers, die F. und A.-Versicherungs-AG, hatte den Kläger wegen dessen Ansprüche aus dem Unfall am 30. September 1964 aufgefordert, sich in der Chirurgischen Universitätsklinik M. zur Frage der Unfallfolgen untersuchen zu lassen (Gutachtensauftrag vom 13. Dezember 1965). Nach der ambulanten Untersuchung des Klägers am 26. Januar 1966 hielten Priv. Doz. Dr. K. und Dr. S. dringend eine internistische Zusatzbegutachtung für erforderlich, um eine diabetische Stoffwechsellage auszuschließen. Nur dann wäre es möglich, das postthrombotische Syndrom als mittelbare Folge des Unfalls vom 30. September 1964 aufzufassen (fachchirurgisches Gutachten der Dres. K. und S. vom 8. Februar 1966). Dementsprechend bestellte Prof. Dr. K. Oberarzt der II. Medizinischen Universitätsklinik M., auf Veranlassung des privaten Unfallversicherers den Kläger zum 14. März 1966 zur ambulanten Untersuchung ein, um das internistische Zusatzgutachten zu erstatten. Der Kläger ließ sich dazu von einem Chauffeur in seinem privaten Auto von seiner Privatwohnung aus nach M. fahren. In der Nahe der „Hohen Wurzel” zwischen T. und H. überschlug sich der Wagen, so daß der Kläger verletzt wurde. Trotzdem fand die Untersuchung in M. am 14. März 1966 statt (Gutachten des Prof. K. vom 14. März 1966). Nach dem fachchirurgischen Gutachten des Dr. V., T., vom 24. Mai 1967 war beim Kläger am 15. März 1966 folgender Befund zu erheben: „Stauchung der LWS; kleiner Muskelriß und Erguß li. Oberarm; Prellungen und Ergüsse re. Oberarm und Unterarm und re. Unterschenkel auf der fibularen Seite; Prellung des Nasenbeines; Distorsion des Endgelenkes dig. III li.; Erguß li. Kniegelenk und li. Kniekehle”. Nach dem für den privaten Unfallversicherer erstellten fachorthopädischen Gutachten des Prof. Dr. M. Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik in H. an der S., vom 14. Mai 1969 entwickelte sich beim Kläger anschließend unter wesentlicher Mitwirkung des Unfalls am 14. März 1966 eine postthrombotische venöse Durchblutungsstörung des linken Beines nach tiefer Venenthrombose infolge Kniekontusion und Wadenmuskelriß links. Prof. M. bescheinigte eine dauernde Gebrauchsbehinderung des linken Beines um 1/3. Nach dem vom Kläger vorgelegten Aktengutachten des Dr. med. H., S., vom 12. April 1976 bedingte das postthrombotische Syndrom am linken Bein nach dem Untersuchungsbefund vom 7. April 1976 eine Einzel-MdE um 50 v.H.
Bereits mit formlosem und nicht förmlich zugestellten Schreiben vom 3. Mai 1966 ohne Rechtsbehelfsbelehrung hatte es die Beklagte abgelehnt, dem Kläger wegen des Ereignisses am 14. März 1966 Entschädigung zu gewähren, weil die unfallbringende Tätigkeit nicht unter Versicherungsschutz gestanden habe.
Der Kläger hat am 2. August 1973 beim SG Klage erhoben mit dem Begehren, ihm wegen der Unfälle am 30. September 1964 und am 14. März 1966 Entschädigung zu gewähren (Az.: S-4/U – 312/73). Entsprechend dem gerichtlichen Teilvergleich vom 13. Oktober 1976 hat die Beklagte mit dem angefochtenen nun...