1 Stand des Gesetzgebungsverfahrens
Die Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (HinSch-RL – auch „Whistleblower – RL“) in deutsches Recht hätte bis zum 17. Dezember 2021 erfolgen müssen; im Hinblick auf diesen Verstoß ist ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland beim Europäischen Gerichtshof anhängig.
Ein Entwurf der Bundesregierung (BR-Drs 372/22) ist am 27. Juli 2022 vorgelegt worden. Hierzu gab der Bundesrat eine Stellungnahme am 16.9.2022 (BR-Drs. 373/22) mit Änderungsvorschlägen ab. Die Beratung des Entwurfes der Bundesregierung erfolgte am 29.9.2022 in erster Lesung; in 2. und 3. Lesung hat der Bundestag das Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Hinweisgeberschutzgesetz – HinSchG) mit vom Rechtsausschuss vorgeschlagenen Änderungen beschlossen. Der Bundesrat verweigerte dem zustimmungspflichtigen Gesetz im Februar 2023 die Zustimmung. Daraufhin spalteten die Koalitionsfraktionen den Gesetzesentwurf zunächst in einen zustimmungspflichtigen und einen zustimmungsfreien Teil auf . Nach erheblichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit dieses Vorgehens riefen die Koalitionsparteien den Vermittlungsausschuss an, der einen Konsens fand. Seine Beschlussempfehlung vom 9.5.2023, stimmte der Bundestag am 11.5.2023 und der Bundesrat am darauffolgenden Tag zu. Das Gesetz tritt am 2.7.2023 in Kraft.
2 Überblick über den Inhalt des Hinweisgeberschutzgesetzes
Das Hinweisgeberschutzgesetz regelt, dass bestimmte Personen (dazu zählen auch Beschäftigte sowie Beamtinnen und Beamte), die auf vom Gesetz vorgegebenen Wegen („Meldekanäle“) eine Meldung über Verstöße gegen vom Gesetz aufgezählte Rechtsvorschriften melden, vor Repressalien (z. B. Kündigung, Abmahnung, Schadensersatz) geschützt sind.
Mit dem neuen Gesetz zum Schutz hinweisgebender Personen soll deren bislang lückenhafter und unzureichender Schutz ausgebaut werden. Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber leisten einen wichtigen Beitrag zur Aufdeckung und Ahndung von Missständen. Ziel des Gesetzes ist es, eine Benachteiligung auszuschließen und Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern Rechtssicherheit zu geben.
Das Gesetz sieht folgende zentrale Regelungselemente vor (Gesetzesbegründung BR-Drs 372/22 S. 2):
- Der persönliche Anwendungsbereich (§ 1 HinSchG) umfasst alle Personen, die in ihrem beruflichen Umfeld Informationen über Verstöße erlangt haben.
- Der sachliche Anwendungsbereich (§ 2 HinSchG) greift die durch die HinSch-RL vorgegebenen Rechtsbereiche auf, nämlich die Meldung von Verstößen gegen das Europäische Recht. Der Regierungsentwurf geht aber darüber hinaus. So wurden insbesondere das Strafrecht und bestimmte Ordnungswidrigkeiten einbezogen und die durch die HinSch-RL vorgegebenen Rechtsbereiche in begrenztem Umfang auf korrespondierendes nationales Recht ausgeweitet.
- Für hinweisgebende Personen werden mit internen und externen Meldekanälen zwei gleichwertig nebeneinanderstehende Meldewege vorgesehen, zwischen denen sie frei wählen können (§§ 7 bis 31 HinSchG). Die Nutzung des externen Meldekanals darf nicht zugunsten des internen Meldekanals beschränkt werden, wohl aber dürfen die Arbeitgeber Anreize für die Nutzung von internen Meldekanälen schaffen (§ 7 Abs. 3 HinSchG).
- In Umsetzung der Anforderungen der HinSch-RL und unter Beachtung der Rechtsprechung des EGMR werden die Voraussetzungen festgelegt, unter denen eine hinweisgebende Person Informationen über Verstöße öffentlich zugänglich machen darf (§ 32 HinSchG).
- Sofern hinweisgebende Personen die Anforderungen des HinSchG an eine Meldung oder Offenlegung einhalten, werden sie umfangreich vor Repressalien wie Kündigung oder sonstigen Benachteiligungen geschützt (§§ 33 bis 39 HinSchG).
3 Bisherige Rechtslage
In Deutschland ist der Hinweisgeberschutz bislang vor allem durch die Rechtsprechung geprägt. Insbesondere die Gerichte der Zivil- und Arbeitsgerichtsbarkeit orientieren sich an den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Dieser hatte sich im Jahr 2011 in einer Grundsatzentscheidung (EGMR, Urteil v. 21.7.2011, 28274/08 Heinisch/Deutschland), in der es um die Meldung von Missständen in einem Pflegeheim ging, mit der Abwägung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen befasst und geurteilt, dass im konkreten Fall eine Verletzung von Artikel 10 (Freiheit der Meinungsäußerung) der Europäischen Menschenrechtskonvention vorlag. Der EGMR bestätigte die Pflicht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu Loyalität, Zurückhaltung und Vertraulichkeit gegenüber dem Arbeitgeber und bezeichnete den Gang an die Öffentlichkeit als „letztes Mittel“. Abzuwägen sind dabei folgende Umstände: Öffentliches Interesse, Richtigkeit der Information, Schaden des Arbeitgebers, Weitergabe der Information als letztes Mittel, Beweggründe für die ...