Rz. 27
Grüner/Dalichau, Sozialgesetzbuch, Kommentar und Rechtssammlung, Stand 1.4.2013.
Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, SGB IV, 86. Ergänzungslieferung, München, Juni 2015.
Herdegen, Europarecht, 15. Aufl., München 2013.
v. Münch/Kunig, Grundgesetz, 6. Aufl., München 2012.
Schroeder, Grundkurs, Europarecht, 3. Aufl., München 2013.
Rz. 28
Die Tariefcommissie stellt in erster Linie die Frage, ob Art. 12 in dem Sinne unmittelbare Wirkung im innerstaatlichen Recht hat, dass die Einzelnen aus diesem Artikel Rechte herleiten können, die vom nationalen Richter zu beachten sind. Ob die Vorschriften eines völkerrechtlichen Vertrages eine solche Tragweite haben, ist vom Geist dieser Vorschriften, von ihrer Systematik und von ihrem Wortlaut her zu entscheiden. Das Ziel des EWG-Vertrages ist die Schaffung eines gemeinsamen Marktes, dessen Funktionieren die der Gemeinschaft angehörigen Einzelnen unmittelbar betrifft; damit ist zugleich gesagt, dass dieser Vertrag mehr ist als ein Abkommen, das nur wechselseitige Verpflichtungen zwischen den vertragsschließenden Staaten begründet. Diese Auffassung wird durch die Präambel des Vertrages bestätigt, die sich nicht nur an die Regierungen, sondern auch an die Völker richtet. Sie findet eine noch augenfälligere Bestätigung in der Schaffung von Organen, welchen Hoheitsrechte übertragen sind, deren Ausübung in gleicher Weise die Mitgliedstaaten wie die Staatsbürger berührt. Zu beachten ist ferner, dass die Staatsangehörigen der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten dazu berufen sind, durch das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuss zum Funktionieren dieser Gemeinschaft beizutragen. Auch die dem Gerichtshof im Rahmen von Art. 177, der die einheitliche Auslegung des Vertrages durch die nationalen Gerichte gewährleisten soll, zukommende Aufgabe ist ein Beweis dafür, dass die Staaten davon ausgegangen sind, die Bürger müssten sich vor den nationalen Gerichten auf das Gemeinschaftsrecht berufen können. Aus alledem ist zu schließen, dass die Gemeinschaft eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts darstellt, zu deren Gunsten die Staaten, wenn auch in begrenztem Rahmen, ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben, eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind. Das von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängige Gemeinschaftsrecht soll daher den Einzelnen, ebenso wie es ihnen Pflichten auferlegt, auch Rechte verleihen. Solche Rechte entstehen nicht nur, wenn der Vertrag dies ausdrücklich bestimmt, sondern auch auf Grund von eindeutigen Verpflichtungen, die der Vertrag den Einzelnen wie auch den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft auferlegt. Zur Systematik des Vertrages auf dem Gebiet der Zölle und Abgaben gleicher Wirkung ist zu bemerken, dass Art. 9, wonach Grundlage der Gemeinschaft eine Zollunion ist, als wesentlichste Norm das Verbot der Zölle und Abgaben gleicher Wirkung enthält. Diese Vorschrift steht am Anfang des Vertragsteiles, der die "Grundlagen der Gemeinschaft" umschreibt; sie wird in Art. 12 angewandt und erläutert. Der Wortlaut von Art. 12 enthält ein klares und uneingeschränktes Verbot, eine Verpflichtung, nicht zu einem Tun, sondern zu einem Unterlassen. Diese Verpflichtung ist im Übrigen auch durch keinen Vorbehalt der Staaten eingeschränkt, der ihre Erfüllung von einem internen Rechtssetzungsakt abhängig machen würde. Das Verbot des Art. 12 eignet sich seinem Wesen nach vorzüglich dazu, unmittelbare Wirkungen in den Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den ihrem Recht unterworfenen Einzelnen zu erzeugen. Der Vollzug von Artikel 12 bedarf keines Eingriffs der staatlichen Gesetzgeber. Der Umstand, dass dieser Artikel die Mitgliedstaaten als Adressaten der Unterlassungspflicht bezeichnet, schließt nicht aus, dass dieser Verpflichtung Rechte der Einzelnen gegenüberstehen können. Der Hinweis der drei Regierungen, die bei dem Gerichtshof schriftliche Erklärungen eingereicht haben, auf die Art. 169 und 170 des Vertrages geht fehl. Wenn der Vertrag in den genannten Artikeln der Kommission und den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, den Gerichtshof anzurufen, falls ein Staat seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, so bedeutet dies nicht, dass es für den Einzelnen unmöglich wäre, sich gegebenenfalls vor dem nationalen Richter auf diese Verpflichtungen zu berufen, ebensowenig wie die Tatsache, dass der Vertrag der Kommission Mittel zur Verfügung stellt, um die Einhaltung der den Vertragsunterworfenen obliegenden Verpflichtungen zu gewährleisten, die Möglichkeit ausschließt, die Verletzung dieser Verpflichtungen in Prozessen zwischen Privatpersonen vor nationalen Gerichten geltend zu machen. Würden die Garantien gegen Verletzungen von Art. 12 durch die Mitgliedstaaten auf die in den Art. 169 und 170 vorgesehenen Verfahren allein beschränkt, so wäre jeder unmittelbare gerichtliche Schutz der individuellen Rechte de...