Rz. 203
§ 7 Abs. 4 wurde durch Art. 1 Nr. 2 Buchst. b des Gesetzes v. 22.12.2011 (BGBl. I S. 3057) mit Wirkung zum 1.1.2012 eingefügt und durch Art. 7 Nr. 1 Buchst. a des Gesetzes v. 12.4.2012 (BGBl I S. 579) mit Wirkung zum 19.4.2012 geändert. Hiernach wird vermutet, dass ein Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt für den Zeitraum von 3 Monaten bestanden hat, wenn Arbeitgeber einen Ausländer ohne die nach § 284 Abs. 1 SGB III erforderliche Genehmigung oder ohne die nach § 4 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt.
Rz. 204
Dem liegt zufolge der Gesetzesbegründung zugrunde (BR-Drs. 315/11 S. 23, 24): "§ 7 Absatz 4 setzt Artikel 6 Absatz 3 der Sanktionsrichtlinie um. Die Vorschrift regelt, dass in den Fällen, in denen ein Arbeitgeber einen ausländischen Beschäftigten illegal (ohne die erforderliche Arbeitsgenehmigung nach § 284 Absatz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) oder ohne die nach § 4 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit) beschäftigt hat, eine Beschäftigung für drei Monate vermutet wird. Eine entsprechende Vergütungsvermutung soll als § 98a Absatz 1 Satz 2 in das AufenthG aufgenommen werden (siehe Artikel 1 Nummer 54 des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex – BT-Drs. 17/5470). Nach § 7 Absatz 4 wird zu Gunsten des ausländischen Beschäftigten und der Versichertengemeinschaft für die Berechnung der nachzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträge widerlegbar vermutet, dass der Arbeitgeber den ausländischen Beschäftigten für die Dauer von drei Monaten beschäftigt hat. Dies führt zu einer Drucksache 315/11 erheblichen Erleichterung bei der Berechnung und Nachforderung von Beiträgen und vereinfacht damit das Verwaltungsverfahren."
Rz. 205
Die Sanktionsrichtlinie (Richtlinie 2009/52/EG) des Europäischen Parlaments und des Rates v. 18.6.2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 v. 30.6.2009, S. 24) verbietet die Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen ohne rechtmäßigen Aufenthalt und sieht gemeinsame Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen vor, die in den Mitgliedstaaten der EU gegen Arbeitgeber zu verhängen sind, die gegen dieses Verbot verstoßen. Die Richtlinie wurde durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex v. 22.11.2011 (BGBl. I S. 2258) in deutsches Recht umgesetzt.
Rz. 206
Mittels des Abs. 4 wird die Aufdeckung von illegaler Beschäftigung dadurch sanktioniert, dass eine Beschäftigung von 3 Monaten zugunsten des ausländischen Beschäftigten und der Versichertengemeinschaft vermutet wird, soweit keine anderen verwertbaren Dokumente über die tatsächliche Dauer der Beschäftigung vorliegen. Voraussetzung ist, dass ein Arbeitgeber einen ausländischen Beschäftigten illegal beschäftigt hat. Das ist dann der Fall, wenn es an einer Arbeitsgenehmigung nach § 284 Abs. 1 SGB III oder der nach § 4a Abs. 5 AufenthG erforderlichen Berechtigung zur Erwerbstätigkeit fehlt. Soweit angenommen wird, das Gesetz regele eine Fiktion (so Seewald, in: KassKomm-SGB IV, § 7 Rz. 217), trifft das nicht zu. Es handelt sich vielmehr, was der Gesetzestext auch deutlich macht, um eine gesetzliche Vermutung (zutreffend Berchtold, NZS 2012 S. 481, 483). Eine solche Vermutung ist durch Art. 1 Nr. 55 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex v. 22.11.2011 (BGBl I S. 2258) mit Wirkung zum 26.11.2011 in das AufenthG aufgenommen werden. Nach § 98a Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Ausländer, den er ohne die nach § 284 Abs. 1 SGB III erforderliche Genehmigung oder ohne die nach § 4a Abs. 5 AufenthG erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt hat, die vereinbarte Vergütung zu zahlen. Satz 2 ergänzt: Für die Vergütung wird vermutet, dass der Arbeitgeber den Ausländer 3 Monate beschäftigt hat.
Rz. 207
Die Vermutung ist widerleglich. Es handelt sich um eine gesetzliche Tatsachenvermutung i. S. d. § 292 Satz 1 ZPO. Sie enthält eine Beweislastregelung, die eine Umkehr der objektiven Beweislast bewirkt. Greift die Vermutung, entfällt jegliche Beweiswürdigung. § 292 Satz 1 HS 1 ZPO ("Stellt das Gesetz für das Vorhandensein einer Tatsache eine Vermutung auf …") umschreibt die Vermutungsbasis. Die begünstigte Partei hat lediglich die Tatsachen (Ausgangstatsachen) vorzutragen und erforderlichenfalls zu beweisen, an die das Gesetz die Vermutungswirkung knüpft (Vermutungsbasis). Der Gegner wird daran interessiert sein, die Vermutungswirkung zu neutralisieren. Hierzu muss er mittels Gegenbeweises die Vermutungsbasis zu Fall bringen. Das gelingt ihm dann, w...