Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sozialwidrigkeit ist der Zugang der Kündigungserklärung.[1] Es kommt nur darauf an, dass die Kündigungsgründe zu diesem Zeitpunkt objektiv vorlagen. Ereignisse, die noch vor dem Zugang der Kündigung stattgefunden haben, sind bei der Bewertung, ob ein Kündigungsgrund vorliegt, zu berücksichtigen; Ereignisse nach Zugang der Kündigung spielen zunächst keine Rolle, insbesondere nicht für die Prognose. Allerdings anerkennt die Rechtsprechung jedenfalls bei der betriebsbedingten Kündigung bei einem Wegfall des Kündigungsgrunds innerhalb der Kündigungsfrist einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Wiedereinstellung.

 
Praxis-Beispiel

Der Arbeitnehmer wird wegen zu befürchtender weiter häufiger Kurzerkrankungen gekündigt. Er ist stark übergewichtig, raucht und bewegt sich nur bis Kühlschrank und zurück. Er erhebt Kündigungsschutzklage. Nachdem der Arbeitsrichter ihm im Gütetermin klargemacht hat, dass es eine negative Zukunftsprognose für weitere Erkrankungen gibt, entschließt sich der Arbeitnehmer 3 Wochen nach Zugang der Kündigung, nun seinen Lebensstil völlig zu ändern, was ihm auch gelingt. Im Kammertermin, der erst 5 Monate nach Zugang der Kündigung stattfindet, hat sich sein Gesamtzustand wesentlich gebessert. Darauf beruft er sich nun – vergeblich, denn maßgeblich für die Beurteilung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung ist der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung und da war die Prognose negativ.

Anders bei folgender Variante: Der Arbeitnehmer hat vom Betriebsrat die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers mitgeteilt bekommen. Noch bevor er die Kündigung erhält, bespricht er mit seinem Hausarzt, wie er seinen Gesundheitszustand verbessern kann, isst nur noch kalorienbewusst und fängt an Sport zu treiben. Diese neue Entwicklung kann er vortragen, um die negative Prognose zu erschüttern.

Es ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer sämtliche Gründe mitteilt, auf die er die Kündigung stützt. Erst soweit der Arbeitgeber später Kündigungsgründe nachschieben möchte, ist dies kündigungsrechtlich und betriebsverfassungsrechtlich bzw. personalvertretungsrechtlich unterschiedlich zu bewerten.

Kündigungsrechtlich können Kündigungsgründe unbeschränkt nachgeschoben werden, wenn sie im Zeitpunkt des Kündigungszugangs objektiv vorlagen. Es ist dabei gleichgültig, ob sie dem Kündigenden bekannt gewesen sind oder nicht.

Betriebsverfassungs- und personalvertretungsrechtlich ist die Situation komplizierter. Hat der Arbeitgeber, dem sämtliche Kündigungsgründe bereits bekannt waren, in der Betriebsrats-/Personalratsanhörung nur einen Kündigungssachverhalt mitgeteilt, der für sich allein genommen die Kündigung nicht rechtfertigt, so ist ihm verwehrt, die nicht dem Betriebsrat/Personalrat mitgeteilten weiteren Kündigungsgründe im Kündigungsschutzprozess zu verwerten (sog. Verbot des Nachschiebens von Kündigungsgründen).

 
Hinweis

Eine Kündigung ist nicht schon dann gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG rechtsunwirksam, weil der Arbeitgeber nicht alle möglichen Kündigungsgründe dem Betriebsrat mitgeteilt hat. Hat der Arbeitgeber die Mitteilung an den Betriebsrat auf einen bestimmten Kündigungssachverhalt beschränkt, so ist dies zulässig und macht die Kündigungsanhörung nicht von vornherein fehlerhaft. Der Arbeitgeber schränkt insoweit nur seinen Vortrag im Kündigungsschutzprozess auf die Gründe ein, die er dem Betriebsrat im Anhörungsverfahren mitgeteilt hat.[2]

Deshalb sollte der Arbeitgeber dem Betriebs-/Personalrat möglichst alle in Betracht kommenden Kündigungsgründe mitteilen, auch wenn er sie zunächst für nicht so gewichtig hält.

Grundsätzlich kann der Arbeitgeber den Personalrat/Betriebsrat wegen der nachzuschiebenden Gründe auch nicht nachträglich wirksam beteiligen. Eine nachträglich eingeholte Zustimmung des Betriebsrats zu Kündigungsgründen, die dem Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung bekannt waren, ist daher ohne rechtliche Bedeutung.[3]

Etwas anderes gilt für Kündigungsgründe, die bei Ausspruch der Kündigung bereits entstanden waren, dem Arbeitgeber aber erst nach Ausspruch der Kündigung bekannt geworden sind. Diese Kündigungsgründe können zulässigerweise im Kündigungsschutzprozess nachgeschoben werden. Voraussetzung ist jedoch, dass der Arbeitgeber den Personalrat/Betriebsrat vor Verwertung der Gründe im Prozess erneut in einem ordnungsgemäßen Anhörungsverfahren angehört hat.[4]

Uneingeschränkt zulässig ist das Nachschieben von Tatsachen, die den bereits vorgetragenen Sachverhalt lediglich ergänzen oder konkretisieren, ohne dabei einen eigenständigen Kündigungsgrund darzustellen.[5]

 
Praxis-Beispiel

Hat der Arbeitgeber gegenüber dem Personalrat/Betriebsrat als Kündigungsgrund angegeben, der Arbeitnehmer habe im letzten Monat an 2 Montagen gefehlt, so kann er diesen Vorwurf im Kündigungsschutzprozess durch die Angabe der Daten zeitlich näher konkretisieren.[6]

Kündigungsgründe, die erst nach der Kündigung entstanden sind, können nicht nachgeschoben w...

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