BAG, Urteil vom 14.12.2023, 2 AZR 55/23
Leitsatz (amtlich)
Ein in der Patientenversorgung eingesetzter Arbeitnehmer, der im Geltungsbereich von § 20a IfSG idF vom 10.12.2021 wahrheitswidrig behauptet, aufgrund einer ärztlichen Untersuchung sei festgestellt worden, dass er vorläufig nicht gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 geimpft werden könne, verletzt in erheblicher Weise eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht.
Sachverhalt
Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus, in welchem die nicht gegen das Coronavirus SARS-Cov-2 geimpfte Klägerin als Pflegehelferin beschäftigt war. Gemäß § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG war die Klägerin verpflichtet gewesen, einen Impfnachweis, einen Genesenennachweis, ein ärztliches Zeugnis über die Schwangerschaft oder ein ärztliches Zeugnis darüber, dass sie aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-Cov-2 geimpft werden könne, bis zum 15.3.2022 vorzulegen.
Die Klägerin legte der Beklagten daraufhin eine auf den 4.1.2022 datierte "Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit gegen das Coronavirus Sars-CoV-2" vor. Diese hatte sie im Internet nach Zahlung einer Gebühr und Eingabe ihrer persönlichen Daten generiert und ausgedruckt. Es hieß in der Bescheinigung, dass "dieser Patient" aufgrund der ärztlichen Einschätzung und Bewertung seiner Angaben vor einer Impfung mit Covid-19-Impfstoffen von einem Facharzt für Allergologie überprüft werden müsse. Bis zum Vorliegen eines Impfstoff-Allergie-Gutachtens sei "der Patient" zeitlich begrenzt bis zum 4.7.2022 impfunfähig und es bestehe die Gefahr, dass "der Patient" durch eine Impfung schwere, ggf. sogar tödliche Nebenwirkungen erleben könne. Eine Kommunikation der Klägerin – und sei es fernmündlich oder digital – mit der vermeintlichen Ärztin, deren Unterschrift auf die Bescheinigung aufgedruckt ist, war nicht erfolgt.
Die Beklagte informierte gem. § 20a Abs. 2 Satz 2 IfSG a. F. das zuständige Gesundheitsamt, welches mitteilte, dass die Bescheinigung aus dem Internet heruntergeladen sei und somit nicht auf einer ärztlichen Untersuchung beruhe.
Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis fristlos.
Die Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Das Gericht entschied, dass die unter Geltung von § 20a IfSG a. F. wahrheitswidrig erfolgten Behauptungen durch einen in einem Krankenhaus beschäftigten Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber, aufgrund einer ärztlichen Untersuchung sei festgestellt worden, dass er vorläufig nicht gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 geimpft werden könne, eine erhebliche Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB darstelle, was "an sich" einen wichtigen Grund nach § 626 Abs. 1 BGB darstellen kann.
Es komme hierbei nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer selbst davon ausging, er sei tatsächlich (vorläufig) impfunfähig oder ob der Arbeitnehmer sich wegen der Vorlage eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach §§ 277ff. StGB strafbar gemacht hatte. Entscheidend sei stattdessen der mit der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch.
Im vorliegenden Fall sei zu berücksichtigen, dass die von der Klägerin vorgelegte Bescheinigung für einen unbefangenen Dritten den Eindruck erweckte, es habe ein individueller Kontakt mit einer Ärztin unter Einschluss einer Anamnese stattgefunden.
Aufgrund der besonderen Schwere der Pflichtverletzung war hier nach Auffassung des BAG eine Abmahnung entbehrlich; zudem fiel die weitere Interessenabwägung zulasten der Klägerin aus. Insbesondere sei zugunsten der Klägerin vorliegend nicht zu berücksichtigen, dass sie "nur" über eine durch ärztliche Untersuchung festgestellte vorläufige Impfunfähigkeit getäuscht hatte, während eine Täuschung über eine erfolgte Impfung oder eine Genesung noch schwerere Folgen hätte haben können, weil in diesem Fall der Arbeitgeber ggf. auch von anderen Schutzmaßnahmen abgesehen hätte; denn das Gewicht der Pflichtverletzung der Klägerin verringerte sich nicht dadurch, dass noch schwerer wiegende Verstöße denkbar seien.