Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung aufgrund unbefristeter Arbeitnehmerüberlassung in der Automobilindustrie
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine verdeckte Überlassung als Arbeitnehmer führt für sich genommen nicht zu einem faktischen oder fehlerhaften Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und der Entleiherin.
2. Ist die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung vor dem am 01.12.2011 in Kraft getretenen Gebot einer vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG erteilt worden, ist sie nicht auf vorübergehende Arbeitnehmerüberlassungen beschränkt; eine geänderte Rechtslage schränkt nicht per se eine erteilte Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis ein oder führt gar zu deren Unwirksamkeit, so dass auch eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung von der vorhandenen Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis erfasst wird.
3. Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung hindert der Besitz der nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG erforderlichen Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis eine unmittelbare Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG nicht nur dann, wenn der Einsatz entgegen § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG nicht nur vorübergehend erfolgt, sondern auch dann, wenn die Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen eines Scheinwerk- oder Scheindienstvertrages erfolgt.
4. Auch eine analoge Anwendung von § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG kommt bei dauerhafter verdeckter Arbeitnehmerüberlassung mangels planwidriger Lücke und wegen der Nichtvergleichbarkeit der Situation eines dauerhaft überlassenen Arbeitnehmers mit der eines ohne Erlaubnis überlassenen Arbeitnehmers nicht in Betracht.
5. Einigen sich Entleiherin und Verleiherin über eine nicht nur vorübergehende Überlassung eines Leiharbeitnehmers, missbrauchen sie damit kein Recht sondern verstoßen gegen ein gesetzliches Verbot; führt dieser Verstoß nach geltendem Recht nicht zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses zur Entleiherin, kann diese Rechtsfolge nicht entgegen dem klar erkennbaren Willen der Gesetzgebung über § 242 BGB herbeigeführt werden.
Normenkette
AÜG § 1 Abs. 1 Sätze 1-2, § 9 Nr. 1, § 10 Abs. 1 S. 1; BGB §§ 242, 611 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 30.10.2014; Aktenzeichen 30 Ca 1510/14) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 30.10.2014 - 30 Ca 1510/14 - wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen infolge so genannter verdeckter Arbeitnehmerüberlassung ("Scheinwerkvertrag") ein Arbeitsverhältnis besteht.
Die Beklagte ist ein Automobilunternehmen. Der 1978 geborene Kläger war seit dem 20.08.2007 bei der Firma R. P. GmbH & Co. KG (im Folgenden: "Firma R."), die gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung betreibt, zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von zuletzt 3 100,00 € beschäftigt. Mittlerweile hat die Firma R. das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger gekündigt. Der Kläger sah von einer Anrufung der Gerichte für Arbeitssachen zur gerichtlichen Überprüfung dieser Kündigung ab und konzentrierte sich auf das mit dem vorliegenden Rechtsstreit verfolgte Anliegen.
Der Firma R. wurde ausweislich des als Anlage B 2 (Blatt 105 ArbG-Akte) vorgelegten Schreibens die "seit dem 14.09.2002 geltende Erlaubnis zur Überlassung von Arbeitnehmern ab dem 14.09.2005 unbefristet erteilt". Die Firma R. verlieh den Kläger wiederum an die Firma C. AG & Co. oHG (im Folgenden: "Firma C."), welche nach dem als Anlage B 1 (Blatt 13 ArbG-Akte) vorgelegten Schreiben "die ab dem 22.11.1997 geltende Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Überlassung von Arbeitnehmern unbefristet verlängert" erhielt. Letztere überließ den Kläger im Rahmen einer als Werkvertrag zur Erbringung von IT-Support-Leistungen bezeichneten Konstruktion an die Beklagte. Der Kläger war für die Beklagte auf diese Weise insgesamt vom 01.08.2007 bis zum 30.04.2014 in verschiedenen Abteilungen jeweils als Local-Techniker im Einsatz. In der letzten Phase seiner Tätigkeit für die Beklagte, vom 31.105.2010 bis zum 30.04.2014, arbeitete er für den Bereich Treasury in M. Vom 31.05.2010 bis zum 31.01.2011 waren Herr H. und Herr J. (aufgrund ähnlicher Vertragskonstruktionen wie der für den Kläger gewählten) gemeinsam mit dem Kläger in einem Großraumbüro tätig. Mit Herrn H. und Herrn J., die ebenfalls das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten gerichtlich geltend gemacht hatten, hat die Beklagte aufgrund eines Vergleichsvorschlags des Bundesarbeitsgerichts die Begründung eines Arbeitsverhältnisses ab dem 01.11.2014 vereinbart. Bei der Beklagten existiert ein so genanntes Ticket-System, mit welchem Mitarbeiter der Beklagten zur Erhaltung technischer Unterstützung eine Anfrage an die Firma C. richten können, damit diese wiederum einen ihrer Mitarbeiter mit der Bearbeitung beauftragen kann.
Der Kläger hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, er sei in die Betriebsorganisation der Beklagten eingegliedert gewesen. Das von der Beklagten vermeintlich etablierte Ticke...