Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Eingruppierung einer Altenpflegerin in der Tätigkeit einer Heilerziehungspflegerin als "sonstige Beschäftigte" im Sinne der Entgruppe S 8b Fallgruppe 1
Leitsatz (amtlich)
1. Die Eingruppierung einer Altenpflegerin in der Tätigkeit einer Heilerziehungspflegerin als "sonstige Beschäftigte" im Sinne der Entgruppe S 8b Fallgruppe 1 erfordert, dass sie über gleichwertige Fähigkeiten und Erfahrungen wie eine staatlich anerkannte Heilerziehungspflegerin verfügen muss.
2. Der Erwerb von Fähigkeiten und Erfahrungen auf einem eng begrenzten Teilgebiet des Aufgabenbereichs einer Heilerziehungspflegerin genügt für eine Eingruppierung als "sonstige Beschäftigte" nicht. Aufgrund der inhaltlichen Überschneidungen der Ausbildungen und der Berufsbilder einer Altenpflegerin und Heilerziehungspflegerin sind jedoch Abstufungen bei der Darlegungs- und Beweislast vorzunehmen, wenn es um die streitige Frage der Verwendungsbreite einer Altenpflegerin in der Tätigkeit einer Heilerziehungspflegerin geht.
Normenkette
TVöD VKA Teil XXIV EG S. 8b
Verfahrensgang
ArbG Reutlingen (Entscheidung vom 20.04.2022; Aktenzeichen 5 Ca 312/21) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 20.04.2022 - 5 Ca 312/21 - abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin seit dem 01.01.2021 nach der Entgeltgruppe S 8b TVöD-B zu vergüten und die jeweiligen Bruttonachzahlungsbeträge ab dem 01.02.2021 bzw. dem Monatsersten der darauffolgenden Monate mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
- Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
- Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die tarifgerechte Eingruppierung der Klägerin.
Die am ... geborene Klägerin ist seit 15. November 1988 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis liegt ein Arbeitsvertrag vom 30. Juli 1997 (Anlage K 1) zugrunde. Hiernach bestimmte sich das Arbeitsverhältnis nach dem damaligen Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT). Die Klägerin wurde als Altenpflegerin in der Vergütungsgruppe Kr IV beschäftigt.
Die Beklagte ist als Unternehmen des Kommunalverbands für Jugend und Soziales Baden-Württemberg eine Trägerin der Behindertenhilfe. Sie betreibt vier Einrichtungen in M., R. R., E. und U., in der geistig oder körperlich behinderte, erwachsene Menschen betreut werden.
Zu Beginn des Arbeitsverhältnisses war die Klägerin in verschiedenen Wohngruppen als Pflegehelferin eingesetzt. Nach der Geburt zweier Kinder in den Jahren 1991 und 1992 und anschließendem Erziehungsurlaub absolvierte die Klägerin von August 1994 bis Juli 1997 eine Ausbildung zur Altenpflegerin. Anschließend war sie Gruppenleiterin in einer Gruppe im Bereich SGB XI. Hierbei handelt es sich um einen Bereich, in dem schwerstbehinderte pflegebedürftige Menschen versorgt werden.
Im Jahr 2011 wechselte die Klägerin in den Bereich SGB IX. In diesem Bereich werden behinderte Menschen bis maximal zum Pflegegrad 3 betreut. In der Praxis unterscheiden sich die beiden Bereiche danach, dass im Bereich SGB XI eine ständige Nachtwache benötigt wird, während im Bereich SGB IX eine dezentrale Rufbereitschaft genügt. Am 2. März 2011 vereinbarten die Parteien, dass die Klägerin die Funktion der Gruppenleiterin abgebe und künftig nach der Vergütungsgruppe Kr 7a Stufe 5 der Kr-Anwendungstabelle TVöD vergütet werde (Anlage K 2). Zum 1. Januar 2017 wurde die Klägerin in die Entgeltgruppe P 7 Stufe 6 übergeleitet. In dieser Entgeltgruppe betrug das Tabellenentgelt im Juli 2021 3.410,08 €; hinzu kamen eine Besitzstandszulage und weitere Zulagen (vgl. Anlage K 3).
Seit dem Jahr 2011 ist die Klägerin in einer Wohngruppe im J.-K.-Weg tätig. In der Wohngruppe leben sieben Menschen mit Behinderung. Aktuell arbeiten vier Fachkräfte und ein Heilerziehungspflegeschüler in dieser Wohngruppe. Herr S. ist hierbei als Heilerziehungspfleger im Umfang von 60 % einer Vollzeitkraft eingesetzt, Herr D. mit 85 % ebenfalls als gelernter Heilerziehungspfleger sowie Herr H., der mit 35 % eines Vollzeitbeschäftigten tätig ist. Daneben ist die Klägerin als gelernte Altenpflegerin mit Zusatzqualifikation im Umfang von 95 % einer Vollzeitkraft eingesetzt.
Alle Pfleger arbeiten im Schichtdienst. Hierbei ist jeweils ein/e Pfleger/in allein in der Wohngruppe tätig. Den Pflegern/innen obliegt die Strukturierung und Planung des Wohn- und Lebensalltags einschließlich der Sorge um das körperliches Wohl, die Gesundheit und Hygiene, den Lebensentwurf und Selbstbild, die Kommunikation und Selbstbild, die Entwicklung von Zukunftsperspektiven und Umsetzung, die persönlichen Anliegen des Klienten, die individuelle Basisversorgung, die individuellen Hilfen zur Alltagsbewältigung und zur Gestaltung von Freizeit, die Aktivitäten zur Erlangung von Selbstständigkeit und Eigenverantwortung, die Hilfestellung bei der Gestaltung von Beziehungen und Kontakten und die Persönlichkei...