Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bei einer Fortsetzungserkrankung
Leitsatz (amtlich)
Liegen in einem Abrufarbeitsverhältnis zwischen bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeiträumen mehrtägige und nicht nur das Wochenende umfassende Zeiten ohne bescheinigte Arbeitsunfähigkeiten, so kann aus der bloßen Tatsache, dass in diesen Zeiten keine Dienstplaneinteilungen bestanden haben, kein Indiz für das Vorliegen einer Einheit des Verhinderungsfalls abgeleitet werden.
Normenkette
EFZG § 3 Abs. 1 Sätze 1-2, §§ 5, 3
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 13.04.2023; Aktenzeichen 6 Ca 4139/22) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 13. April 2023 (6 Ca 4139/22) wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagten hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit 7. Dezember 2015 in der S. beschäftigt als C. in Teilzeit in einem Abrufarbeitsverhältnis mit einem vertraglichen Beschäftigungsumfang von 20 Stunden pro Woche. Das durchschnittliche Bruttomonatsentgelt betrug im Zeitraum Dezember 2021 bis Februar 2022 1.479,06 Euro.
Der Kläger war gemäß Dienstplan im Monat März 2022 an folgenden Tagen zum Dienst eingeteilt:
- 2. März 2022
- 5. März 2022
- 9. März 2022
- 21. März 2022
- 26. März 2022
- 28. März 2022 und
- 31. März 2022.
Der Kläger legte der Beklagten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor für die Zeiträume
- 1. März 2022 bis 10. März 2022 und
- 18. März 2022 bis 1. April 2022
Der Kläger erbrachte deshalb im März 2022 keine Arbeitsleistungen. Die Beklagte verweigerte für den Monat März 2022 die Entgeltfortzahlung.
Ausweislich der vom Kläger vorgelegten Diagnosenaufstellung der Krankenkasse war der Kläger im Zeitraum 1. März bis 10. März 2022 arbeitsunfähig wegen "M5486 Sonstige Rückenschmerzen: Lumbalbereich". Für den Zeitraum 18. März 2022 bis 1. April 2022 ist in der Diagnosenaufstellung vermerkt: "M544 Lumboischialgie".
Der Kläger war bereits vor März 2022 wiederholt arbeitsunfähig krank wie folgt:
- 26. Mai 2021 bis 28. Mai 2021: N20.0 Nierenstein, vollstationär
- 28. Juni 2021 bis 29. Juni 2021: N20.0 Nierenstein, Krankenhausaufenthalt
- 27. August 2021 bis 2. September 2021: M42.94 Osteochondrose der Wirbelsäule nnbez., Thorakalbereich
- 17. September 2021 bis 19. September 2021: N13.3 Sonstige nnbez. Hydronephrose
- 16. Oktober 2021 bis 22. Oktober 2021: J06.9 Akute Infektion der oberen Atemwege, nnbez.
- 2. November 2021 bis 4. November 2021: K52.9, nicht infektiöse Gastroenteritis und Kolitis, nnbez.
- 20. November 2021 bis 25. November 2021: R 51 Kopfschmerz
- 2. Dezember 2021 bis 13. Dezember 2021: M 54.4 Lumboischialgie
- 26. Dezember 2021 bis 30. Dezember 2021: J06.9 Akute Infektion der oberen Atemwege, nnbez.
- 19. Januar 2022 bis 6. Februar 2022: N20.0 Nierenstein
- 22. Februar 2022 bis 26. Februar 2022: R 10.4GL Sonstige nnbez. Bauchschmerzen
Der Kläger meinte, die Beklagte sei für den Monat März 2022 entgeltfortzahlungspflichtig. Er sei nicht länger als sechs Wochen wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig gewesen.
Der Kläger beantragte:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.479,06 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 15.04.2022 zu zahlen.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bestritt, dass die Arbeitsunfähigkeiten des Klägers aus der Vergangenheit jeweils zum bescheinigten Endtermin beendet gewesen seien. Sie meinte, beim Kläger ein Muster zu erkennen, dass sich dieser nur für Zeiten arbeitsunfähig krankgemeldet habe, zu denen dienstplanmäßig Einsätze vorgesehen gewesen seien. Der Kläger sei für Krankheitszeiten in dienstfreien Zeiten zwar nicht nachweispflichtig. Jedoch obliege dem Kläger die Darlegungslast für die Beendigung der jeweils bescheinigten Arbeitsunfähigkeiten. Sie gehe deshalb davon aus, dass der Kläger im März 2022 durchgehend arbeitsunfähig krank gewesen sei und auch schon vor dem Monat März 2022 mehr als sechs Wochen durchgehend arbeitsunfähig krank gewesen sei. Unter Zugrundelegung des Grundsatzes der Einheit des Verhinderungsfalls sei die Entgeltfortzahlungspflicht im März 2022 bereits beendet gewesen.
Jedenfalls bestritt sie, dass die den Arbeitsunfähigkeiten im März 2022 zugrundeliegenden Krankheiten nicht mit den Krankheiten aus den vorangegangenen Arbeitsunfähigkeitszeiträumen in Zusammenhang stünden.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung der geltend gemachten 1.479,06 Euro verurteilt. Es führte zur Begründung aus, es lägen keine Indizien vor, aus denen auf eine Einheit des Verhinderungsfalls geschlossen werden könnten. Zwischen den bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeiträumen lägen nicht nur Wochenenden oder einzelne arbeitsfreie Tage. Der Anspruch des Klägers sei auch nicht wegen einer Fortsetzungserkrankung, die insgesamt den Sechswochenzeitraum überschritten hätte, ausges...