Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurückweisung bei Organhandel. Gesamtvertretung außerordentliche Kündigung eines ordentlich Unkündbaren Arbeitsverweigerung
Leitsatz (redaktionell)
1. § 174 BGB ist auf den Ausspruch von Kündigungen durch Organe anwendbar.
2. Die Möglichkeit der Zurückweisung nach § 174 BGB besteht allerdings nicht, wenn die Vertretungsmacht nicht auf der Erteilung einer Vollmacht durch den Vertretenen, sondern auf gesetzlicher Grundlage beruht oder auf der Bestellung des Vertreters zum Organ einer juristischen Person.
3. Wird eine Ermächtigung eines einzelnen Organmitglieds durch die zusammen mit ihm gesamtvertretungsberechtigten Organmitglieder zur Alleinvertretungsmacht erweitert, ist eine analoge Anwendung des § 174 BGB anerkannt. Sinn und Zweck des § 174 BGB rechtfertigt die Anwendung auf solche Konstellationen, weil die Ermächtigung des Gesamtvertreters die gleiche Rechtsfolge wie die Vollmacht bei der rechtsgeschäftlichen Vertretung auslöst.
Normenkette
BGB §§ 174, 180; Berliner Betriebsgesetz § 9; BGB § 626; TVöD § 34
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 14.07.2010; Aktenzeichen 56 Ca 2591/10) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14.07.2010 – 56 Ca 2591/10 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung wegen Arbeitsverweigerung sowie einer aus demselben Grund hilfsweise als außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist ausgesprochenen Kündigung.
Der am … 1964 geborene, verheiratete aber getrennt lebende und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 01. Juli 1991 als Straßen- und Grünflächenreiniger bei der Beklagten mit einem durchschnittlichen monatlichen Bruttoeinkommen in Höhe von 2.500,– EUR beschäftigt. Nach dem Arbeitsvertrag richtet sich das Arbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G) vom 31. Januar 1962 mit den zusätzlich abgeschlossenen Tarifverträgen sowie den an ihre Stelle tretenden Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung. Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Die Beklagte, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten; bei ihr ist ein Personalrat gebildet.
Im Jahr 2005 führten die Parteien einen Kündigungsrechtsstreit in dem der Kläger obsiegte und in dessen Folge der Kläger seit dem 16. Januar 2006 weiterbeschäftigt wurde. Danach verlief das Arbeitsverhältnis zunächst bis Mitte 2009 ohne weitere Belastung. Im Juli und Dezember 2009 erfolgten eine Ermahnung und eine Abmahnung des Klägers im Zusammenhang mit der Anzeigepflicht im Krankheitsfall.
Die Beklagte besorgt für das Land Berlin den Winterdienst. Dieser ist so organisiert, dass verschiedene Touren und Streupläne von Arbeitsgruppen abgearbeitet werden. Diese Arbeitsgruppen planen und regeln ihren Einsatz innerhalb der Touren und Streupläne hinsichtlich der Arbeitsorganisation und Aufgabenverteilung autonom und dokumentieren die erbrachten Leistungen. Am 13. Januar 2010 war der Kläger im Rahmen des Winterdienstes mit drei weiteren Kollegen für die Tour 24 im Bereich der Betriebstelle B. Damm eingeteilt und sollte mit seinen Kollegen verschiedene Handstreupläne abarbeiten. Ob und in welchem Umfang der Kläger an diesem Tag Arbeitsleistungen erbrachte, ist zwischen den Parteien streitig. Der Kläger füllte jedenfalls am 13. Januar 2010 eine Handstreuplan aus (Anlage B 15, Bl. 90 d. A.), der nach Ansicht der Beklagten allerdings gravierende Mängel aufweist.
Nach dem sich ein Kollege über den Kläger wegen nicht akzeptablen Verhaltens und wegen Bedrohung beschwerte, nahm die Beklagte Ermittlungen dazu auf. Dabei entstand für sie der Verdacht, der Kläger sei am 13. und 14. Januar 2010 seinen Arbeitspflichten nicht bzw. nur teilweise nachgekommen und hörte den Kläger dazu am 20. Januar 2010 und am 22. Januar 2010 im Beisein seiner Kollegen an. Diese gaben u. a. an, der Kläger habe am 13. Januar 2010 ganztägig nicht gearbeitet bzw. nicht das Räumfahrzeug verlassen. Seit dem 21. Januar 2010 ist der Kläger von der Beklagten freigestellt.
Nach Anhörung des bei ihr gebildeten Personalrats, der der Kündigung zustimmte, kündigte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 02. Februar 2010 außerordentlich fristlos sowie hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30. September 2010 wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung am 13. Januar 2010. Das Kündigungsschreiben ist unterzeichnet von einem für Personal, Soziales und technische Dienstleistungen zuständigen Vorstandsmitglied der Beklagten. Eine Vollmachtsurkunde war dem Kündigungsschreiben nicht beigefügt.
Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger noch am 02. Februar 2010 zu. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers wies die Kündigung wegen fehlender Vollmacht mit Schreiben vom 07. Februar...