Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungstreuepflicht von Lehrern. Tattoo-Schriftzug "Meine Ehre heißt Treue" als Verstoß gegen Verfassungstreuepflicht. Fehlende Eignung eines Lehrers wegen Tattoo. Maß der Treuepflicht anhand von Stellung und Aufgaben. Kein Abmahnerfordernis bei erheblichem Eignungsmangel
Leitsatz (amtlich)
1. Lehrkräften obliegt nach § 3 Absatz 1 Satz 2 TV-L eine Verfassungstreuepflicht
2. Die fehlende Eignung für die Tätigkeit als Lehrkraft kann aus einem Verfassungstreuepflichtverstoß folgen
3. Die Tätowierung der Losung "Meine Ehre heißt Treue" stellt einen solchen Verfassungstreuepflichtverstoß dar
Normenkette
BGB § 626; TV-L § 3; StGB § 86a; ZPO § 91
Verfahrensgang
ArbG Neuruppin (Entscheidung vom 17.11.2020; Aktenzeichen 2 (3) Ca 967/19) |
Tenor
I. Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 17.11.2020 - 2 (3) Ca 967/19 - abgeändert:
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
II. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund zweier außerordentlicher, hilfsweise ordentlicher Kündigungen und damit verbunden um einen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung.
Der am ....1983 geborene, ledige und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist diplomierter Lebensmittelchemiker.
Der Kläger stand seit 31.08.2016 in einem Arbeitsverhältnis als Lehrkraft zum beklagten Land. Die Rechte und Pflichten ergaben sich aus dem zur Akte gereichten Arbeitsvertrag vom 29.08.2016 (Blatt 336 fortfolgende der Akte) sowie aus dem Änderungsvertrag vom 30.05.2017 (Blatt 340 fortfolgende der Akte), auf die inhaltlich verwiesen wird. Gemäß § 2 Absatz 1 des Änderungsvertrages fanden auf das Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L), in der Fassung, die für den Bereich der Tarifgemeinschaft Deutscher Länder und für das Land Brandenburg jeweils gilt, Anwendung. Der Kläger war zuletzt in die Entgeltgruppe 12 Stufe 3 TV-L eingruppiert, was einem monatlichen Betrag in Höhe von 4.421,81 € brutto entsprach. Der Kläger war im Schuldienst des beklagten Landes ein sogenannter Quereinsteiger. Er absolvierte begleitend zu seiner Tätigkeit als Lehrkraft den Vorbereitungsdienst ab 04.07.2017 für das Lehramt an den Sekundarstufen 1 und 2, im Schwerpunkt Bildungssekundarstufe 1 mit den Fächern Chemie und Biologie. Der Kläger war in der Oberschule A in H. in den Fächern Chemie, Physik und Mathematik eingesetzt.
Bis November 2019 trug der Kläger auf seinem Oberkörper folgende Tattoos: auf der rechten Brust Thors Hammer (Mjölnir) mit einer Wolfsangel bzw. Gibor-Rune, auf der linken Brust ein Sonnenrad, eine schwarze Sonne sowie eine auf dem Kopf stehende Schmetterlingsaxt, am rechten Oberarm den Schriftzug "Legion Walhalla" und auf dem linken Oberarm den Schriftzug "Odin statt Jesus", jeweils in Frakturschrift. Der Bauchbereich wird durch den Spruch "Meine Ehre heißt Treue" in Frakturschrift über dem Hosenbund ausgefüllt. Bei stark abgesenktem Hosenbund ist unter dem Wort Treue der Zusatz "Liebe Familie" zu sehen. Auf das zur Akte gereichte Foto (Anlage B2, Blatt 110 der Akte) wird verwiesen. In 2020 änderte der Kläger die Tätowierung auf seinem Bauch; über das Wort "heißt" ließ er ein dieses Wort durchstreichendes Kreuz tätowieren. Auf das zur Akte gereichte Foto wird verwiesen (Blatt 166 der Akte). Anfang 2021 ließ der Kläger alle Tattoos verändern. Über das Wort "Treue" ließ er beispielsweise eine Krone tätowieren. Auf die zur Akte gereichten Fotos wird verwiesen (Blatt 326 der Akte).
Bei einem Schulsportfest am 03.07.2018 zog der Kläger bei großer Hitze sein T-Shirt aus. Ein Lehrer machte bei dem Sportfest Fotos, auf denen u. a. der Kläger mit freiem Oberkörper zu sehen ist. Im Anschluss an das Sportfest sprachen der fotografierende und ein weiterer Lehrer den Kläger wegen der Tattoos an. Anschließend fand eine Aussprache bei dem stellvertretenden Schulleiter statt. Der Kläger verfasste unter dem 06.07.2018 eine schriftliche Stellungnahme an die amtierende Schulleiterin und den stellvertretenden Schulleiter (Blatt 134 fortfolgende der Akte). Darin versicherte er, nie eine rechte Gesinnung gehabt zu haben, niemals Mitglied einer rechten Gruppierung gewesen zu sein, geschweige denn überhaupt eine Affinität zum Rechtsextremismus gehabt zu haben und diese auch nie haben zu werden. Er versicherte, zukünftig jegliche Tätowierung an seinem Körper verdeckt zu halten. Es folgten Erklärungen zu den Tattoos schwarze Sonne und Wolfsangel. Auf den weiteren Inhalt des Schreibens wird verwiesen.
Anlässlich einer Schulfahrt öffnete der Kläger am 15.01.2019 einer weiblichen Lehrkraft mit unbedecktem Oberkörper die Tür.
Im November 2018 erstattete der Kläger Selbstanzeige. Es erging unter dem Az. .... ein Strafbefehl zu 40 Tagessätzen zu je 50,00 € aufgrund des Tattoos "Meine Ehre heißt Treue" we...