Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit einer Befristung des Arbeitsvertrages bei sehr langer Vorbeschäftigung. Keine Gefahr der Kettenbefristung bei fehlender struktureller Unterlegenheit
Leitsatz (amtlich)
Eine fast 17 Jahre und 3 Monate zurückliegende Vorbeschäftigung ist jedenfalls dann als "sehr lang her" i.S.d. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzurechnen, wenn das Vorbeschäftigungsverhältnis auf Betreiben der Arbeitnehmerin vorzeitig aufgelöst wurde. In einem solchen Fall ist ein Ausnutzen einer strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmerin durch die Arbeitgeberin nicht zu ersehen.
Normenkette
TzBfG § 14 Abs. 2, § 17 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 12.02.2020; Aktenzeichen 21 Ca 7999/19) |
Tenor
1) Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12.02.2020 - 21 Ca 7999/19 - wird auf ihre Kosten bei einem Streitwert von 14.601,00 EUR zurückgewiesen.
2) Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Befristungsvereinbarung sowie einen Weiterbeschäftigungsanspruch der Klägerin.
Nach einer Ausbildung zur Tierpflegerin mit der Fachrichtung für Haus- und Versuchstierpflege vom 05.08.1996 bis zum 04.08.1999 durch das M.-D.-Centrum für molekulare Medizin, Stiftung des öffentlichen Rechts (vgl. den Ausbildungsvertrag in Kopie Bl. 47 d. A.) wurde die Klägerin von diesem Arbeitgeber vom 01.09.1999 bis zum 28.02.2001 aufgrund eines befristeten Vertrages als Tierpflegerin eingestellt (vgl. den Vertrag in Kopie Bl. 11 - 13 d. A.).
Auf Betreiben der Klägerin schlossen die Parteien am 08.06.2000 einen Aufhebungsvertrag zum 09.07.2000 (vgl. den Aufhebungsvertrag in Kopie Bl. 14 d. A.). Ab 10.07.2000 bis zum 30.09.2017 arbeitete die Klägerin für ein privates kommerzielles Pharmaunternehmen. Mit Vereinbarung vom 15.09.2017 schlossen die Parteien einen befristeten Arbeitsvertrag vom 01.10.2017 bis zum 31.07.2019 im Wege der sachgrundlosen Befristung (vgl. den Vertrag in Kopie Bl. 7 - 9 d. A.).
Mit der beim Arbeitsgericht Berlin am 01.07.2019 eingegangenen Klage hat die Klägerin sich gegen die Befristung des Arbeitsverhältnisses gewandt und hilfsweise für den Fall des Obsiegens ihre Weiterbeschäftigung begehrt. Dabei hat sie sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.06.2018 - 1 BvL 7/14 - und 1 DvR 1375/14 sowie die darauf ergangene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bezogen und gemeint, dass die Vorbeschäftigung der Klägerin unter Berücksichtigung der genannten Rechtsprechung noch nicht "sehr lang her" sei.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der Befristungsabrede im Vertrag vom 15.09.2017 zum 31.07.2019 beendet ist;
hilfsweise,
für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1),wird die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin über den 31. 07.2019 hinaus zu den bisherigen Arbeitsvertragsbedingungen als Tierpflegerin in Vollzeit in Berlin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Prozesses weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass ein anderer Arbeitgeber den Vorvertrag und den Ausbildungsvertrag abgeschlossen hat, nämlich das M.-D.-Centrum, Stiftung des öffentlichen Rechts, während der streitbefangene Arbeitsvertrag nach über 17 Jahren Nichtbeschäftigung vom M.-D.-Centrum, Anstalt des öffentlichen Rechts, welches nach dem Ausscheiden der Klägerin im Jahr 2000 und vor dem streitigen befristeten Arbeitsvertrag aufgrund eines Errichtungsgesetzes (§ 1 des Gesetzes über die Körperschaft des öffentlichen Rechts "M.-D.-Centrum für molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft") vom 09.04.2015 gebildet wurde.
Der auf Betreiben der Klägerin aufgehobene erste befristete Vertrag sei nach ihrer Auffassung "sehr lang her" im Sinne der Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und BAG, jedenfalls im Zusammenhang mit der durch die Klägerin betriebenen Auflösung des ersten Vertrages zu sehen. Es gebe keine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Klägerin, eine solche Ausnutzungssituation bestehe vorliegend gerade nicht.
Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 12.02.2020 die Klage abgewiesen. Ob der Vertrag aus dem Jahr 1999 mit einem anderen Arbeitgeber abgeschlossen worden sei, könne offengelassen werden. Denn jedenfalls liege dieser auf Betreiben der Klägerin aufgelöste Vertrag "sehr lang zurück" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts. Insbesondere in Hinblick auf die Entscheidung des BAG vom 21.08.2019 - 7 AZR 452/17 - (22 Jahre zwischen erstem und zweitem Vertrag "sehr lang her") und 17.04.2019 - 7 AZR 323/17 - (15 Jahre zurück noch nicht "sehr lang her") gebiete es die verfassungskonforme Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG, diese Vortätigkeit hier nicht anzuwenden. Denn bei 17 Jahren und 3 Monaten zwischen den beiden Verträgen sei auch im Hinblick auf die Nichtausschöpfung des erst...