Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlerhafte Massenentlassungsanzeige. Schriftform der Massenentlassungsanzeige. Einhaltung der Schriftform durch Einreichung der Anzeige als Scan im Anhang eines Mailschreibens. Fehlerhafte Angaben bezüglich der Begründung der erforderlichen Massenentlassungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Kündigung ist unwirksam, wenn bei ihrer Erklärung eine erforderliche Massenentlassungsanzeige zwar abgegeben worden, aber fehlerhaft ist, weil sie bezüglich der "Muss-Angaben" des § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG Fehler aufweist.
2. Gemäß § 126 Abs. 1 BGB muss, wenn das Gesetz die schriftliche Form vorschreibt, die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig unterzeichnet sein. Ist die Erklärung, die schriftlich erfolgen muss, empfangsbedürftig, so muss dem Empfänger eine formgerechte Erklärung zugehen. Ersetzung durch elektronische Form mit einer Signatur nach dem Signaturgesetz ist möglich.
3. Da es dem Unterschriftserfordernis des § 130 Nr. 6 ZPO genügt, wenn die pdf-Datei durch Einscannen eines vom Prozessbevollmächtigten unterzeichneten Schriftsatzes hergestellt wird, erscheint es für die Wahrung des Schriftformerfordernisses aus § 17 Abs. 3 KSchG als ausreichend, wenn die Anzeige als Scan im Anhang eines Mailschreibens bei der Agentur eingereicht wird. Die Dokumentationsfunktion ist damit hinreichend gewahrt. Durch die das gescannte Dokument abschließende und im Ausdruck wiedergegebene Unterschrift ist die Anzeige authentifiziert.
4. Die vom Arbeitgeber zu erstattende Massenentlassungsanzeige muss, soll sie dem Zweck des Anzeigeverfahrens genügen, objektiv richtige Angaben u.a. über die Gründe für die geplanten Entlassungen enthalten. Die der Agentur für Arbeit obliegende Prüfung wird durch jeden Fehler bei den "Muss-Angaben" beeinflusst und erschwert. Sind die Angaben fehlerhaft, ist die Anzeige wegen Verstoßes gegen § 17 Abs. 3 KSchG nichtig (§ 134 BGB).
Normenkette
KSchG § 17 Abs. 1, 3; BGB §§ 126, 134; ZPO § 130 Nr. 6; VwVfG § 3a Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 28.10.2020; Aktenzeichen 29 Ca 9194/20) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28. Oktober 2020 - 29 Ca 9194/20 - wird hinsichtlich des Berufungsantrags zu 2. als unzulässig verworfen.
II. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28. Oktober 2020 - 29 Ca 9194/20 - abgeändert und hinsichtlich der Hauptsache insgesamt klarstellend wie folgt gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30. Juni 2020 nicht aufgelöst wird.
2. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Fahrer für den Fahrdienst Clever/Shuttle/CaptainDriver weiterzubeschäftigen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen hat die Beklagte zu tragen.
IV. Für die Beklagte wird die Revision zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten vorrangig über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
Die Beklagte, die mit regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmern in Vollzeit einen Fahrdienst betrieb, bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigten den Kläger seit dem 24.08.2016 als Fahrer, nach einer abgeschlossenen Anlage zum Arbeitsvertrag zuletzt als "CaptainDriver".
Am 15.06.2020 wurde an die Agentur für Arbeit Berlin Mitte eine Entlassungsanzeige auf dem dafür von der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung gestellten Formular als Scan in der Anlage zu einem Mailschreiben übermittelt.
In Zeile 11 (Anlage 4 zum Schriftsatz der Beklagten vom 29.07.2020, Bl. 44ff dA) ist dort als Name/Unternehmensbezeichnung angegeben "GHT M. GmbH" (im Folgenden GHT). Diese Gesellschaft ist Alleingesellschafterin der Beklagten. Sie ist die Rechtsvorgängerin der Beklagten, bei der der Kläger zunächst beschäftigt war. Als Holding nimmt sie für die Unternehmensgruppe, zu der die Beklagte gehört, alle zentralen Verwaltungsaufgaben wahr.
In Zeile 16 ist nach Name und Anschrift die Beklagte als der Betrieb bezeichnet, auf den sich die Anzeige bezieht. In Zeile 32 sind als Gründe für den angegebenen Personalabbau vermerkt: "Betriebsschließung der C. München GmbH. Damit verbunden ist der Marktaustritt aus München und das Niederlegen aller operativen Bemühungen." In Zeile 33 sind als Kriterien für die Auswahl der zur Entlassung vorgesehenen Arbeitnehmer/innen angegeben: "Kein Mitarbeiter der C. München GmbH kann weiterbeschäftigt werden, da die Tätigkeit standortgebunden ist. Alle Mitarbeiter werden entlassen bzw. befristete Verträge nicht verlängert."
Das die Anzeige abschließende und von dem Geschäftsführer der Beklagten, Herrn H., unterzeichnete Feld für Unterschrift, ggf. Firmenstempel ist mit Name und Anschrift der Beklagten gestempelt.
In einem zuvor am selben Tag von der Beklagten an die Arbeitsagentur übersandten Entwurf der Anzeige waren die Angabe bei Ziffer 32 und Ziffer 33 auf die Beklagte anstelle der C. München GmbH bezogen.
Mit Schr...