rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzungsantrag. Flutkatastrophe. Wiedereinsatzung und Widerrufsfrist eines Vergleichs. Versäumung der Frist zum Widerruf eines Vergleichs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auch Auswirkungen der Flutkatastrophe, die im August Sachsen und Sachsen-Anhalt heimsuchte, führen nicht dazu, dass bei Versäumung der Widerrufsfrist für einen vor dem Arbeitsgericht abgeschlossenen Prozessvergleich die Möglichkeit, die Fristversäumung durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 233 ff. ZPO zu heilen, eröffnet wird.

2. Gibt das Arbeitsgericht einem gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in einem solchen Fall „wegen höherer Gewalt” jedoch statt, ist dem Antragsgegner die Möglichkeit eröffnet, trotz § 238 Abs. 3 ZPO „außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit” einzulegen. Dies gilt um so mehr, wenn das Arbeitsgericht „zur schnellen Klärung des Sachverhalts” in den Entscheidungsgründen auf dieses Rechtsbehelf hinweist und eine entsprechende Rechtsmittelbelehrung erteilt.

3. Die Frage, ob ein Berufen auf das Versäumen der Widerrufsfrist gegen Treu und Glauben verstößt und der Widerrufende deshalb so gestellt werden muss, als hätte er den Widerruf rechtzeitig erklärt, ist im Hauptsacheverfahren – entsprechend der Verfahrensweise bei einer Anfechtung des Vergleiches – unter Umständen nach einer Antragsumstellung dahingehend, „festzustellen, dass der Rechtsstreit nicht durch den Vergleich vom … beendet wurde”, zu entscheiden.

4. In jedem Fall ist ein substantiierter Vortrag zu den Tatsachen, die die Fristveräumnis bewirkt haben, erforderlich. Der Hinweis, der Prozessbevollmächtigte des Widerrufenden habe sein Büro nach mehrfacher Überflutung erst am 19.08.2002 wieder betreten können, „ein einigermaßen geregelter Kanzleibetrieb” sei erst am 02.09.2002, dem letzten Tag der Widerrufsfrist, wieder möglich gewesen, reicht nicht.

 

Normenkette

ZPO §§ 233, 238

 

Verfahrensgang

ArbG Bremen (Beschluss vom 23.10.2002; Aktenzeichen 5 Ca 5345/02)

 

Tenor

Auf die „sofortige Beschwerde” der Beklagten vom 29.10.2002 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bremen vom 23.10.2002 aufgehoben.

Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren wegen unrichtiger Sachbehandlung nicht erhoben.

 

Tatbestand

I

Die Parteien schlossen in einem Rechtsstreit, in dem es um Zahlungsansprüche des Klägers geht, am 12.08.2002 vor dem Arbeitsgericht Bremen folgenden Vergleich:

  1. „Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde einvernehmlich am 24.045.2002 beendet.
  2. Die Beklagte zahlt an den Kläger als Abfindung in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG in Verbindung mit § 3 Ziff. 9 EStG EUR 1.000,00.
  3. Damit ist der Rechtsstreit 5 Ca 5345/02 erledigt. Ferner sind sämtliche weiteren wechselseitigen finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung erledigt.
  4. Der Kläger behält sich den schriftlichen Widerruf des Vergleichs gegenüber dem Gericht bis zum 02.09.2002 vor.”

Am 16.09.2002 ging beim Arbeitsgericht Bremen ein Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers, die ihre Anwaltskanzlei in Pirna haben, ein, mit dem der Vergleich widerrufen wurde. Gleichzeitig wurde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, die wie folgt begründet wurde:

„Der Kläger wurde ohne sein Verschulden daran gehindert, die Widerrufsfrist für den Vergleich zum 02.09.2002 einzuhalten. Dies hing mit der Hochwasserlage in Pirna zusammen. Das Haus der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten des Klägers ist am 12.08.2002 und erneut am 14.08.2002 überflutet worden, zunächst vom Hochwasser der Flüsse Gottleuba und Seidewitz, sodann durch das Elbehochwasser. Die Straße, in der sich die Praxisräume der Klägervertreter befinden, war ca. 1,80 m unter Wasser. An das Haus heran kam man erst wieder frühestens am 19.08.2002. Die gegenüberliegende Hauptpost war ebenfalls überflutet. Eine Postzustellung erfolgte nicht. Die Briefkästen im Haus waren abgesoffen. Strom- und Telefonversorgung im Haus waren unterbrochen. Ein einigermaßen geregelter Kanzleibetrieb war erst ab 02.09.2002 wieder möglich. Das Versenden von Telefaxen ist bis heute noch nicht möglich.

…”

Durch eidesstattliche Versicherung des Prozessbevollmächtigten des Klägers wurde dieser Vortrag glaubhaft gemacht.

Durch Beschluss des Arbeitsgerichts Bremen vom 20.09.2002 wurde der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist für den Widerruf des Vergleichs vom 12.08.2002 als unzulässig verworfen.

Dieser Beschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 26.09.2002 zugestellt.

Mit einem am 04.10.2002 beim Arbeitsgericht Bremen eingegangenen Schriftsatz erhoben die Prozessbevollmächtigten des Klägers unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, insbesondere die Entscheidung BGHZE 61 S. 394 (400), sofortige Beschwerde.

Sie vertraten die Auffassung, Treu und Glauben geböten es im vorliegenden Fall, dass der Kläger so gestellt werde, als habe er den Widerruf rechtzeitig erklärt.

Das Arbeitsgericht half da...

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