Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung eines Aufhebungsvertrages

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Verstoß gegen § 17 KSchG (Unterlassen der Massenentlassungsanzeige) führt nicht zur Unwirksamkeit der in einem Aufhebungsvertrag vereinbarten Entlassung des Arbeitnehmers.

2. Zur Anfechtung des aus betriebsbedingten Gründen geschlossenen Aufhebungsvertrages wegen arglistiger Täuschung (§ 123 BGB), wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht über die beabsichtigte Durchführung einer sozialplanpflichtigen Betriebsänderung aufgeklärt hat.

3. Werden die Grenzzahlen des § 112 a Abs. 1 BetrVG erst durch die Gesamtheit der erfolgten Entlassungen bzw. Entlassungswellen erreicht (stufenweiser Personalabbau), so ist von einer (einheitlichen) Betriebsänderung auszugehen, wenn sich alle Entlassungen als Umsetzung einer auf ein und demselben Planungssachverhalt beruhenden Unternehmerentscheidung darstellen und nicht jeweils unvorhergesehene Ereignisse, also die Veränderung des Planungssachverhalts, den neuen Entschluß zu weiterem Personalabbau ausgelöst haben (ebenso: LAG Düsseldorf vom 14.05.1986, LAGE Nr. 4 zu § 111 BetrVG 1972). Es kommt nicht darauf an, ob der Arbeitgeber den stufenweisen Abbau von Anfang an konkret geplant hat.

Ist danach der stufenweise Personalabbau als einheitliche Betriebsänderungsmaßnahme zu bewerten, sind Arbeitnehmer, die in der ersten Welle durch vom Arbeitgeber veranlaßte Aufhebungsverträge oder Eigenkündigungen ausgeschieden sind, im Sozialplan mit den in der zweiten Welle gekündigten Arbeitnehmern gleichzubehandeln (§ 112 a Abs. 1 S. 2, § 75 BetrVG).

 

Normenkette

KSchG §§ 17, 123; BGB § 779; BetrVG §§ 75, 111 ff.

 

Verfahrensgang

ArbG Oberhausen (Urteil vom 14.09.1995; Aktenzeichen 1 Ca 1322/95)

 

Tenor

Unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 14.09.1995 wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin DM 10.000,– nebst 4 % Zinsen seit dem 13.06.1995 zu zahlen. Im übrigen werden die Berufung der Klägerin und die erweiterte Klage (Antrag zu 2) zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3.

Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit eines Aufhebungsvertrages und über die Zahlung einer Sozialplanabfindung.

Die Klägerin war seit dem 20.08.1990 als Bürokauffrau in der Buchhaltung der Beklagten angestellt. Die Beklagte, die 86 Mitarbeiter beschäftigte (Stand: März 1995), ist Tochtergesellschaft der W. GmbH T., die ihrerseits Schwestergesellschaft der Schweizer W. AG ist.

Nach Verlusten in den Jahren 1992 und 1993 erwartete die Beklagte im Jahr 1994 einen weiteren Verlust in Höhe von 20 Millionen DM. Im September 1994 wies die Schweizer W. AG, die die Geschäfte der Beklagten führte, die Beklagte an, Personal abzubauen. Die Beklagte bemühte sich daraufhin, die Arbeitsverhältnisse mit einigen Arbeitnehmern, auf die sie relativ problemlos verzichten zu können meinte, möglichst durch Aufhebungsvertrag zu beenden. Im Oktober 1994 schlossen die Parteien eine schriftliche Vereinbarung über die Aufhebung ihres Arbeitsverhältnisses zum 31.12.1994 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von DM 8.000,–.

Nachdem sich im November 1994 die Sekretärin G., die den Arbeitsplatz der ausscheidenden Klägerin übernehmen sollte, dazu außerstande erklärte, sprach die Beklagte die Klägerin auf eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses bis Ende März 1995 an und bot ihr den Abschluß einer neuen, auf den 05.12.1994 datierten „Aufhebungsvereinbarung” an, in der es heißt:

㤠1 Vertragsaufhebung

Der Arbeitgeber und die Arbeitnehmerin sind sich darüber einig, daß das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis auf Veranlassung des Arbeitgebers zur Vermeidung einer ansonsten unumgänglichen ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung mit Einhaltung der tariflichen Kündigungsfrist, im gegenseitigen Einvernehmen zum 31. März 1995 sein Ende finden wird.”

Des weiteren enthält die Aufhebungsvereinbarung die Zusage einer Abfindungszahlung (DM 8.000,–) sowie eine Ausgleichsklausel.

Bei der Verhandlung über die „Aufhebungsvereinbarung” sagte die Beklagte zu, die Klägerin für den Fall, daß die Sekretärin G. ausscheiden werde, über den 31.03.1995 hinaus weiterbeschäftigen zu wollen. Nach einer Überlegungsfrist unterzeichnete die Klägerin die Aufhebungsvereinbarung. Anschließend zerrissen die Parteien den im Oktober 1994 geschlossenen Aufhebungsvertrag.

Im Januar 1995 wurde die Beklagte der W. GmbH T. unterstellt. Am 25.01.1995 wurde eine interne Arbeitsgruppe eingesetzt, die die Möglichkeiten einer weiteren Existenz der Beklagten, insbesondere nach einer erheblichen Verkleinerung untersuchen sollte. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll der Arbeitsgruppe vom 25.01.1995 (Bl. 17–20 d. A.) und auf die am 27.01.1995 herausgegebene Mitarbeiterinformation (Bl. 21 d. A.) verwiesen. Am 11.02.1995 stellte die Arbeitsgruppe ihr Untersuchungsergebnis vor, wonach auch ein „Mini-Modell” nicht realistisch sei und der Betr...

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