Entscheidungsstichwort (Thema)
Invollzugsetzung des Arbeitsverhältnisses durch einvernehmlichen Beginn der Anreise zur Schulung. Überschreitung der Zwei-Jahres-Frist bei sachgrundloser Befristung durch vorzeitige Seminaranreise. Reisezeit als vergütungspflichtige Arbeitszeit
Leitsatz (amtlich)
1. Einigen sich die Vertragsparteien darüber, dass der Arbeitnehmer zu einer im betrieblichen Interesse erforderlichen und angeordneten Schulung, die am frühen Morgen des Tages beginnen soll, der zunächst als Vertragsbeginn vorgesehen war, bereits am Vortag anreist, weil der Schulungsort so weit vom Dienstort entfernt liegt, dass anderenfalls eine rechtzeitige Anreise nicht möglich oder unzumutbar wäre, handelt es sich bei der Fahrtzeit für die dienstlich erforderliche Anreise um Arbeitszeit im arbeitsvertragsrechtlichen Sinne. Der Arbeitnehmer erbringt damit bereits die versprochenen Dienste im Sinne von § 611 Abs. 1 BGB (a.F.). Vertragsrechtliche Arbeitszeit ohne Arbeitsvertrag gibt es nicht (Im Anschluss an Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 09. April 2019 - 3 Sa 1126/18 -, juris).
2. Die Einigung über vertragsrechtliche Arbeitszeit am Vortag des ursprünglich vorgesehenen Vertragsbeginns führt zur einvernehmlichen Vorverlegung des Beginns des Arbeitsverhältnisses auf den Tag der Dienstreise.
3. Beginnt das Arbeitsverhältnis dementsprechend am 04.09.2016, überschreitet eine bis 04.09.2018 vereinbarte Befristung den für sachgrundlose Befristungen nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG maximal zulässigen Zeitraum von zwei Jahren um einen Tag. Rechtsfolge ist die Unwirksamkeit der Befristungsabrede und das Zustandekommen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses.
Normenkette
TzBfG § 14 Abs. 4, 2 S. 1; BGB §§ 133, 157, 187 Abs. 2, § 611
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 22.03.2019; Aktenzeichen 13 Ca 5609/18) |
Nachgehend
Tenor
I.
Die Berufung der Beklagten und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 22.03.2019 - 13 Ca 5609/18 - werden zurückgewiesen.
II.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 68 Prozent und die Beklagte zu 32 Prozent.
III.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. Für den Kläger wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Wirksamkeit einer Befristungsabrede sowie um die korrekte Eingruppierung des Klägers.
Mit Schreiben vom 22.07.2016 (Bl.16 d. A.) bewarb sich der Kläger auf eine von dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit der Referenznummer 10.000-1145825201-S ausgeschriebene Stelle als Anhörer in der Vorbereitung von Asylentscheidungen am Standort Düsseldorf.
Mit E-Mail vom 24.08.2016 (Bl.17-19 d. A.) teilte ihm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit, dass beabsichtigt sei, ihn befristet für den Zeitraum vom 05.09.2016 bis zum 04.03.2017 als Anhörer mit einer Vergütung gemäß der Entgeltgruppe E12 TVöD- Bund einzustellen. In der E-Mail heißt es ferner:
"Vor Beginn der Tätigkeit werden sie durch entsprechende Schulungen gezielt auf die zukünftige Tätigkeit vorbereitet. Die Qualifizierungszeit beträgt etwa drei Wochen.
Bitte melden sie sich für ihre Schulung am 05.09.2016 um 9:00 Uhr.
Art der Schulung: Qualifizierung Anhörer
Ort: Qualifizierungszentrum Nürnberg Platenstraße 46, 90441 Nürnberg
Zeitraum: 3 Wochen
Beginn: 9:00 Uhr
Sie erhalten für die gesamte Dauer ihrer Schulung ggf. eine amtlich unentgeltliche Unterkunft (Einzelzimmer) einschließlich Frühstück. Wir bitten Sie, ein Hotel aus beiliegender Hotelübersicht (in Mail als Anhang enthalten) zu wählen und selbst zu buchen."
Am 29.08.2016 unterzeichnete der Kläger den von Arbeitsgeberseite schon am 24.08.2019 unterzeichneten Arbeitsvertrag, nach dessen § 1 er ab dem 05.09.2016 befristet ohne sachlichen Grund (§ 14 Abs. 2 TzBfG) bis zum 04.03.2017 eingestellt wurde. Gemäß § 2 des Arbeitsvertrages bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem - in der Klausel näher aufgezählten - Regelwerk des TVöD. Nach § 4 ist der Kläger in die Entgeltgruppe E12 TVöD, Stufe 1 eingruppiert. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Abschrift des Arbeitsvertrages vom 24.08.2016/29.08.2016 (Bl.23-24 d. A.) verwiesen.
Mit E-Mail vom 03.09.2016 (Bl. 26 d.A.) teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er vom 04.09.2016 bis zum 13.09.2016 ein Hotelzimmer am Schulungsort Nürnberg reserviert habe und die Anreise nach Nürnberg mit dem Omnibusunternehmen "FlixBus" durchführen werde. Zugleich bat er um Übernahme der Kosten der Anreise sowie der Übernachtungskosten.
Wie angekündigt reiste der Kläger am 04.09.2016 mit dem Bus zum Schulungsort und übernachtete dort im Hotel. Ab dem 05.09.2016 nahm der Kläger an der 3-wöchigen Schulung für die Tätigkeit als Anhörer im Asylverfahren teil.
Mit E-Mail vom 05.09.2016 (Bl. 25 d. A.) teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie werde dem Hotel eine Kostenübernahmeerklärung übersenden. Neben allgemeinen Hinweisen zur Reisekostenerstattung findet sich am Ende der E-Mail ...