Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeit der Wahl eines „zweiten” Wahlvorstandes
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Abbruch einer – durch einen „nichtig” gewählten Wahlvorstand durchgeführten – Betriebsratswahl durch einstweilige Verfügung.
2. Für die Bestellung des Wahlvorstandes durch Betriebsversammlung gilt das Prioritätsprinzip: Ist bereits zu einer Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 2 BetrVG eingeladen worden, ist die Wahl eines zweiten Wahlvorstandes auf einer anderen (späteren) Versammlung nichtig.
Normenkette
BetrVG §§ 17, 19; ArbGG § 85 Abs. 2; ZPO §§ 935, 940
Verfahrensgang
ArbG Essen (Beschluss vom 28.05.2003; Aktenzeichen 1 BVGa 8/03) |
Tenor
Der Beschluss des Arbeitsgerichts Essen vom 28.05.2003 wird abgeändert. Der Antrag der Beteiligten zu 1) wird zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluss findet kein Rechtsmittel statt.
Tatbestand
I. Im Rahmen einer einstweiligen Verfügung, mit der die Antragsteller (Beteiligte zu 1) von der Arbeitgeberin (Beteiligte zu 2) verlangen, den Zugang als Wahlvorstand zu ihrem Betrieb in F.-C. zu dulden, streiten die Beteiligten über die Wirksamkeit der Wahl des Wahlvorstandes am 17.05.2003. Die Arbeitgeberin macht geltend, dass zur Versammlung im Betrieb um 16.30 Uhr eingeladen gewesen sei und dort 10 anwesende Arbeitnehmer die Beteiligten zu 3) als Wahlvorstand gewählt hätten. Die Beteiligten zu 1) halten entgegen, aufgrund obstruktiven Verhaltens der Arbeitgeberin an diesem Tag die Versammlung zum DGB-Haus, 17.15 Uhr, verlegt zu haben und von den 18 teilnehmenden Arbeitnehmern als Wahlvorstand gewählt worden seien.
Mit „Aushang vom 03.05.2003” (Bl. 10) luden die Beteiligten zu 1), U. X., F. Q., K. N., die im Betrieb F.-C., B.str. 10 Beschäftigten zur Wahl des Wahlvorstandes für eine Betriebsratswahl am 17.05.2003, 16.30 Uhr, in den Aufenthaltsraum des Betriebs ein. Laut Protokoll vom 17.05.2003 (Bl. 87) fanden sich 10 der insgesamt 53 wahlberechtigten Mitarbeiter ein und wählten die Mitarbeiter Q. I. (Vorsitzende), T. M. und I. D. als Wahlvorstand.
Den Beteiligten zu 1), die zu der Versammlung eingeladen hatten, hatte die Arbeitgeberin Hausverbot erteilt. Zuvor hatte sie die Mitarbeiter X. und N. versetzt, woraufhin diese am 14.05.2003 beim Arbeitsgericht Essen eine einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung im Betrieb F.-C. erwirkten. Am 15.05.2003 ordnete die Arbeitgeberin gegenüber der Mitarbeiterin Q. deren Versetzung ab dem 16.05.2003 zur Filiale P. an. Am 17.05.2003 sprach sie gegenüber den Mitarbeiter X. und N. die fristlose, vorsorglich fristgerechte Kündigung aus. Die mit dem Hausverbot belegten Beteiligten zu 1) warteten mit dem Gewerkschaftsvertreter Rechtsanwalt O. bis 16.45 Uhr vor dem Betrieb und unterrichteten den Betrieb verlassende oder betretende Mitarbeiter davon, dass die Versammlung zum DGB-Haus F. verlegt worden sei. Außerdem unterrichtete Rechtsanwalt O. eine Kassiererin, die Filialleiterin, den Personalleiter und den Bezirksleiter von der Verlegung der Versammlung. Laut Teilnehmerliste (Bl. 110) fanden sich im DGB-Haus um 17.15 Uhr 18 Arbeitnehmer ein. Sie wählten – laut Protokoll vom 17.05.2003 (Bl. 5) – die Beteiligten zu 1), nämlich U. X. (Vorsitzender), F. Q. und K. N. zum Wahlvorstand. Am 27.05.2003 erließ der Beteiligte zu 1) das Wahlausschreiben für die Betriebsratswahl am 14.07.2003.
Am 20.05.2003 hat der Beteiligte zu 1) beim Arbeitsgericht Essen im Wege der einstweiligen Verfügung das Zugangsrecht als Wahlvorstand geltend gemacht.
Durch Beschluss vom 28.05.2003 hat das Arbeitsgericht dem Antrag entsprochen. Mit der am 03.06.2003 eingelegten und begründeten Beschwerde greift die Arbeitgeberin den Beschluss an. Sie begehrt dessen Abänderung und die Zurückweisung des Verfügungsantrages. Auf der Versammlung im Betrieb um 16.30 Uhr seien die Beteiligten zu 3) wirksam als Wahlvorstand gewählt worden. Zu der später im DGB-Haus abgehaltene Versammlung sei nicht ordnungsgemäß eingeladen worden, so dass die Wahl der Beteiligten zu 1) nichtig sei.
Die Beteiligten zu 1) verteidigen den Beschluss des Arbeitsgerichts. Die Beteiligten zu 3) schließen sich dem Antrag und dem Vorbringen der Beteiligten zu 2) an.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist statthaft und zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Die Beteiligten zu 1) sind nicht „Wahlvorstand”. Ihnen steht daher kein Zugangsrecht zu.
1. Im allgemeinen kann durch einstweilige Verfügung in eine laufende Betriebsratswahl nur eingegriffen werden, wenn die Wahl mit Sicherheit als nichtig anzusehen wäre (Hess. LAG, Beschluss vom 5. April 2002, 9 Ta BV Ga 61/02, n.v., LAG Köln, Beschluss vom 29.03.2001, MDR 2001, 1176; vgl. LAG Nürnberg, Beschluss vom 13. 03.2002, AR-Blattei ES 530.6 Nr. 76). Allerdings sind zum Abbruch der Wahl auch Wahlfehler geeignet, die zwar lediglich zur Anfechtung einer Betriebsratswahl berechtigen, jedoch so schwerwiegend sind, dass sie mit Sicherheit einer zu erwartenden Wahlanfechtung zum Erfolg verhelfen, und die auch nicht im Rahmen des Anfechtungsverfahrens korrigiert werden kö...