Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung wegen längerer Untersuchungshaft
Leitsatz (amtlich)
Eine Kündigung wegen Inhaftierung (i.c. U-Haft) kann grundsätzlich nur dann im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG gerechtfertigt sein, wenn die Arbeitsverhinderung zu konkreten betrieblichen Beeinträchtigungen führt. Die bloße Ungewißheit des Arbeitgebers über den Zeitpunkt der Haftentlassung gibt keinen Kündigungsgrund ab; jedenfalls ist dem Arbeitgeber bei einem 14 Jahre lang beschäftigten Arbeitnehmer zumutbar, die Untersuchungshaft abzuwarten und nicht nach drei Monaten zu kündigen.
Leitsatz (redaktionell)
Die Beklagte sprach gegenüber dem Kläger, nachdem dieser über drei Monate untersuchungshaftbedingt der Arbeit ferngeblieben war, die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus. Nach insgesamt 5 1/2 Monaten wurde der Kläger aus der U-Haft entlassen. Er ist wegen Beihilfe zum Drogenhandel angeklagt. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos.
Normenkette
BGB § 626; KSchG § 1; EMRK Art. 6 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Duisburg (Urteil vom 24.04.1996; Aktenzeichen 1 Ca 62/96) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 24.04.1996 wird kostenfällig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Rechtswirksamkeit einer vom beklagten Arbeitgeber erklärten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.
Der am 28.06.1994 geborene, verheiratete Kläger, türkischer Staatsangehöriger, ist seit dem 01.09.1981 im D. Werk der Beklagten, einem Großunternehmen der Stahlindustrie, beschäftigt. Der Monatsverdienst des als Schweißer tätigen Klägers beläuft sich auf ca. DM 4.259,– brutto.
Aufgrund eines Haftbefehls wegen Drogenhandels nahm die Kriminalpolizei D. den Kläger am 13.09.1995 gegen 08.45 Uhr an seinem Arbeitsplatz fest. Mit Schreiben vom 19.09.1995 stellte die Beklagte daraufhin den Kläger „längstens für drei Monate unbezahlt von der Arbeit frei”.
Unter dem 14.12.1995 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen personenbedingten Kündigung „wegen Inhaftierung (U-Haft)” an und führte zur Begründung aus:
„Herr Y. befindet sich seit dem 13.09.1995 in U-Haft (wahrscheinlich Drogenhandel). Er wurde deshalb einer innerwerklichen Regelung entsprechend ab diesem Tag, längstens jedoch für drei Monate, unbezahlt von der Arbeit freigestellt.
Demnach hätte er am 14.12.1995 die Arbeit wieder aufnehmen müssen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vom Anwalt, der im September für den Genannten zuständig war, konnten wir nicht in Erfahrung bringen, ob Herr Y. kurzfristig aus der Haft entlassen wird, da dieser Anwalt den Genannten nicht mehr vertritt (auf Wunsch des Herrn Y.).
Wir sehen nun keine Möglichkeit mehr, das Arbeitsverhältnis weiterhin aufrechtzuerhalten.”
Der Betriebsrat teilte unter dem 15.12.1995 mit, daß er aufgrund der ihm vorliegenden Informationen bei der gegebenen Rechtslage keine Möglichkeit sehe, der Kündigung zu widersprechen.
Mit Schreiben vom 18.12.1995 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger die außerordentliche und gleichzeitig die ordentliche Kündigung aus. Am 08.01.1996 hat der Kläger beim Arbeitsgericht Duisburg Kündigungsschutzklage eingereicht.
Nachdem eine Haftprüfung im Dezember 1995 und eine Haftbeschwerde des Klägers erfolglos verlaufen waren, wurde der Kläger auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft am 26.02.1996 aus der Untersuchungshaft entlassen. Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Kläger Anklage wegen Beihilfe zum Drogenhandel erhoben. Die Anklage ist vor dem Jugendschöffengericht in M. zugelassen worden.
Der Kläger hat behauptet:
Er habe über drei Monate von Juli bis September 1995 seinen Kellerraum einem Mitbeschuldigten zur Verfügung gestellt. Der Mitbeschuldigte habe dort Heroin gelagert. Er, der Kläger, habe im Verlauf der drei Monate zwar irgendwann geahnt bzw. gewußt, daß im Keller Heroin gelagert wurde, jedoch selbst niemals Heroin portioniert oder dem Mitbeschuldigten gebracht. Wegen der Zurverfügungstellung des Kellers, d.h. einer Beihilfehandlung, sei allenfalls die Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe zu erwarten.
Der Kläger hat vorgetragen, daß die Beklagte einen umfangreichen Personalabbau beabsichtige, und behauptet, daß diese aufgrund der Arbeitssituation jederzeit in der Lage sei, seinen Arbeitsplatz vorläufig anderweitig zu besetzen. Er arbeite in einer Halle, in der 200 Arbeiter beschäftigt seien. Dort werde jeweils in Gruppen von 20 bis 30 Personen gearbeitet. Er, der Kläger, sei mit der Reparatur von Maschinen, Schweißen von Bauteilen etc. befaßt.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 18.12.1995 nicht aufgelöst wurde.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat unbestritten vorgetragen:
Anläßlich der Verh...