Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung. Gemeinschaftsbetrieb und Sozialauswahl und Ausführung. Entlassung und Weiterbeschäftigungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
1. Mit der Auflösung eines Gemeinschaftsbetriebs zweier Unternehmen entfällt die Verpflichtung zur unternehmensübergreifenden Sozialauswahl (BAG, Urteil vom 13. September 1995, 2 AZR 954/94, EzA § 1 KSchG Nr. 48). Dies gilt auch dann, wenn im Zeitpunkt der Kündigung der Gemeinschaftsbetrieb zwar noch besteht, aber bereits feststeht, dass er spätestens bei Ablauf der Kündigungsfrist beendet sein wird.
2. Eine Entlassung im Sinne der §§ 17, 18 KSchG erfolgt bei Bestehen eines – vom Arbeitgeber nicht bestrittenen – Weiterbeschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG nicht bereits mit Ablauf der Kündigungsfrist, sondern erst mit der Beendigung des Weiterbeschäftigungsverhältnisses durch eine evtl. Entbindung des Arbeitgebers von der Weiterbeschäftigungspflicht oder mit einer rechtskräftigen Abweisung der Kündigungsschutzklage.
3. Aus der gesetzlichen Regelung der §§ 17 ff. KSchG ergibt sich kein tragfähiger Anhaltspunkt für eine dahin gehende Auslegung, dass trotz Vorliegens einer Zustimmung des Arbeitsamtes zu einer beabsichtigten Massenentlassung die entsprechenden Kündigungen und Entlassungen dann unwirksam sind, wenn der Arbeitgeber die ihn im Verhältnis zum Betriebsrat gem. § 17 Abs. 2 und 3 KSchG treffenden Unterrichtungs- und Beratungsverpflichtungen vor der Massenentlassungsanzeige nicht voll umfänglich erfüllt hat.
Soweit nach Teil IV, Artikel 6, der Richtlinie 98/59/EG zu gewährleisten ist, dass den Arbeitnehmervertretern und/oder den Arbeitnehmern administrative und/oder gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen des Arbeitgebers nach der Massenentlassungsrichtlinie zur Verfügung stehen, ist dem im Sinne einer europarechtskonformen Auslegung des deutschen Rechts entsprechend der – teilweise – zur Sicherung der Unterrichtungs- und Beratungsrechte des Betriebsrats im Zusammenhang mit Betriebsänderungen vertretenen Auffassung (vgl. Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 20. Aufl., § 111 Rn. 110 ff., m.w.N.) dadurch Rechnung zu tragen, dass dem Betriebsrat zur Sicherung seiner Informations- und Beratungsrechte gemäß § 17 Abs. 2 und 3 KSchG die Möglichkeit eröffnet wird, dem Arbeitgeber, solange dieser seine Unterrichtungs- und Beratungsverpflichtungen im Verhältnis zum Betriebsrat nicht erfüllt hat, im Wege einer einstweiligen Verfügung alle Maßnahmen untersagen zu lassen, die auf eine Umsetzung der Massenentlassung gerichtet sind und durch die die Effektivität der Beratungsrechte des Betriebsrates im Sinne einer wirksamen Einflussnahme auf die Willensbildung auf Arbeitgeberseite beeinträchtigt werden kann. Es spricht viel dafür, dass der Betriebsrat hiernach ggf. dem Arbeitgeber auch bereits den Ausspruch der Kündigungen untersagen lassen kann.
4. Wenn der Betriebsrat bei Ausspruch zweier aufeinander folgender ordentlicher Kündigungen beiden Kündigungen ordnungsgemäß widersprochen hat, der Arbeitnehmer wegen beider Kündigungen rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben und seine Weiterbeschäftigung verlangt hat und der Arbeitgeber wegen des auf dem Widerspruch gegen die erste Kündigung beruhenden Weiterbeschäftigungsanspruchs gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG rechtskräftig entbunden worden ist, so entsteht nach Ablauf der Kündigungsfrist der zweiten Kündigung ein Weiterbeschäftigungsanspruch gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG nur und erst dann, wenn zuvor rechtskräftig die Unwirksamkeit der ersten Kündigung festgestellt worden ist.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 3, §§ 17-18; BetrVG § 102 Abs. 5
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Urteil vom 19.12.2001; Aktenzeichen 18 Ca 298/01) |
ArbG Hamburg (Urteil vom 19.09.2001; Aktenzeichen 18 Ca 21/01) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg – 18 Ca 21/01 – vom 19. September 2001 wird wegen der wiederholten erstinstanzlichen Anträge zurückgewiesen.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg – 18 Ca 248/01 – vom 19. Dezember 2001 wird nach Maßgabe des in der Berufungsinstanz gestellten Antrages zurückgewiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt mit der Klage die Feststellung der Unwirksamkeit zweier Kündigungen und die Verurteilung der Beklagten zu seiner Weiterbeschäftigung. In der Berufungsinstanz hat der Kläger die Klage außerdem hilfsweise um den Antrag erweitert, die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung zu verurteilen, verbunden mit dem Feststellungsantrag, dass die Abfindung als Nachteilsausgleich gemäß § 113 BetrVG auf die Sozialplanabfindung nicht angerechnet wird. Mit dem in der Berufungsinstanz hinzuverbundenen Berufungsverfahren – 3 Sa 22/02 – begehrt der Kläger außerdem die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Arbeitsentgelt aus Annahmeverzug für die Zeit vom 01. Juli 2001 bis einschl. März 2002.
Der am 03. Februar...