Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf angemessene Räumlichkeiten zur Durchführung der Betriebsversammlung. Anspruch des Betriebsrates auf Kostenvorschuss für Teilversammlungen. Ermessensspielraum des Betriebsrates bei Durchführung von Präsenzversammlungen auch in Zeiten von Corona
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Betriebsrat kann sich bei Einhaltung der Gesundheitsvorschriften auch für die Durchführung mehrerer Präsenzteilversammlungen entscheiden und im Falle der Ablehnung durch den Arbeitgeber einen Kostenvorschuss verlangen.
2. Der Betriebsrat ist wegen Corona nicht verpflichtet, die Betriebsversammlung online abzuhalten.
Normenkette
BetrVG §§ 40, 43 Abs. 1 S. 1; ZPO § 936
Verfahrensgang
ArbG Iserlohn (Entscheidung vom 08.09.2020; Aktenzeichen 2 BVGa 5/20) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 08.09.2020 - 2 BVGa 5/20 - abgeändert.
Der Arbeitgeber wird verpflichtet, an den Betriebsrat einen Vorschuss in Höhe von
- 2800,00 € netto für die Durchführung einer Teilversammlung im vierten Quartal des Kalenderjahres 2020 in der Schützenhalle , S straße 6, 58xxx M, zu zahlen,
- weitere 2800,00 € netto für die Durchführung einer zweiten Teilversammlung im vierten Quartal des Kalenderjahres 2020 in der Schützenhalle , S straße 6, 58xxx M, zu zahlen,
- weitere 2800,00 € netto für die Durchführung einer dritten Teilversammlung im vierten Quartal des Kalenderjahres 2020 in der Schützenhalle , S straße 6, 58xxx M, zu zahlen.
Gründe
A.
Hinsichtlich des Tatbestandes wird verwiesen auf I. der erstinstanzlichen Gründe. Einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§ 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO).
B.
Die Beschwerde ist mit dem in der mündlichen Anhörung am 05.10.2020 vom Betriebsrat gestellten, sachdienlichen (§ 263 Abs. 1 ZPO) Antrag, gerichtet auf die Gewährung von Kostenvorschüssen für bis zu drei im vierten Quartal 2020 durchzuführende Teilversammlungen, begründet.
I. Der Betriebsrat hat in dem von ihm angestrengten Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegenüber dem Arbeitgeber einen Verfügungsanspruch (§ 936 i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) auf Zahlung von bis zu 8.400,00 € für die Abhaltung von bis zu drei Teilversammlungen im Zeitraum bis zum 31.12.2020.
1. Aus § 40 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG ergibt sich die Verpflichtung des Arbeitgebers, auf seine Kosten dem Betriebsrat angemessen ausgestattete Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, damit im gesetzlich gebotenen Umfang Betriebsversammlungen abgehalten werden können, und zwar gegebenenfalls außerhalb des Betriebs (so schon LAG Hamm, 02.11.1956 - 5 Sa 244/56 - AP BGB § 618 Nr. 5; GK/Wiese, 11. Aufl., § 42 Rn. 24). Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach, steht dem Betriebsrat aus § 40 Abs. 1 BetrVG ein Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Vorschusses zu, um damit die voraussichtlichen Kosten für die Überlassung geeigneter Räume abdecken zu können (vgl. Fitting, 30 Aufl., § 40 Rn. 148 m.w.N.).
2. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
a) Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat verpflichtet, einmal in jedem Kalendervierteljahr eine Betriebsversammlung einzuberufen. Kann eine solche Versammlung alle Arbeitnehmer wegen der Eigenart des Betriebs nicht zeitgleich stattfinden, sind nach § 42 Abs. 1 Satz 3 BetrVG Teilversammlungen durchzuführen.
b) Charakteristisch für ein solches Forum der Aussprache zwischen Betriebsrat und Belegschaft (vgl. Fitting, a.a.O., § 42 Rn. 7) ist, dass es als nicht öffentliche (§ 42 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) Präsenzveranstaltung stattfindet, in der alle Teilnahmeberechtigten an einem Ort zusammenkommen und dort miteinander kommunizieren und diskutieren können, und das bei allseitiger Sicht- und Hörbarkeit (vgl. Bachner, Kommentar zu § 129 Sonderregelungen aus Anlass der Covid-19-Pandemie, Rn. 20; Klumpp/Holler, BB 2020, 1268, 1270).
c) In der aktuellen Pandemie-Lage hat nun der Gesetzgeber durch Art. 5 des Gesetzes zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung vom 20.05.2020 (BGBl. I. 1044) in § 129 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, begrenzt auf den Zeitraum von jetzt noch weniger als drei Monaten bis zum 31.12.2020, die Möglichkeit eröffnet, solche Versammlungen auch mittels audiovisueller Einrichtungen durchführen zu können. Dabei ist zu beachten, dass dem Betriebsrat durch das Wort "können" ein Beurteilungsspielraum eingeräumt worden ist, den er unter Beachtung des "Ausgangsleitbildes" einer Präsenzveranstaltung (Klumpp/Holler, a.a.O.) mit physischer Anwesenheit der Teilnahmeberechtigten vor Ort (vgl. BT-Drucksache 19/18753, S. 28) sachgerecht auszufüllen hat.
d) Wenn sich vor diesem Hintergrund der Betriebsrat im konkreten Fall unter Beachtung der aktuellen gesetzlichen Vorgaben namentlich zum Infektionsschutz bei einer Belegschaftszahl von ca. 360 Arbeitnehmern für die Durchführung von bis zu drei Teilversammlungen außerhalb des Betriebs in einer nur wenige Kilometer entfernten Stadthalle entschieden hat, bewegt er sich d...