Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsratsanhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG in der gesetzlichen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG. Grundsatz der subjektiven Determination

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Auch in der gesetzlichen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Betriebsrat vor einer beabsichtigten Kündigung zu hören. Dies folgt schon aus dem Wortlaut des § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, wonach der Betriebsrat "vor jeder Kündigung" zu hören ist.

2. Der Grundsatz der subjektiven Determination bedeutet, dass der Betriebsrat immer dann ordnungsgemäß angehört ist, wenn der Arbeitgeber ihm die Gründe mitgeteilt hat, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und die für seinen Kündigungsentschluss maßgeblich sind.

 

Normenkette

BetrVG § 102; KSchG § 1

 

Verfahrensgang

ArbG Münster (Entscheidung vom 15.12.2022; Aktenzeichen 3 Ca 1033-22)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 15.12.2022 - Az. 3 Ca 1033/22 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Der Kläger war seit dem 01.03.2022 bei der Beklagten, die mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, als Verkäufer zu einem monatlichen Bruttogehalt i. H. v. 2.228,00 € beschäftigt. In § 2 des Arbeitsvertrages ist eine dreimonatige Probezeit mit einer zweiwöchigen Kündigungsfrist vereinbart. Wegen des weiteren Inhalts des Arbeitsvertrages wird auf Bl. 4 ff. d.A. verwiesen. Ein Betriebsrat ist gewählt.

Mit Schreiben vom 17.08.2023 (Bl. 56 d.A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers an. Zur Begründung der Kündigung führte die Beklagte in ihrem Anhörungsschreiben aus:

"Auf das Arbeitsverhältnis findet das KSchG noch keine Anwendung. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist nicht in unserem Interesse."

Der Betriebsrat nahm dazu unter dem 24.08.2022 (Bl. 58 d.A.) abschließend Stellung und wies darauf hin, dass er es aufgrund der geringen Besetzung in diesem Warenbereich nicht für tragbar halte, dem Kläger zu kündigen.

Mit Schreiben vom 25.08.2022 (Bl. 8 d.A.), dem Kläger übergeben am 30.08.2022, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2022. Dagegen hat sich der Kläger mit seiner am 08.09.2022 beim Arbeitsgericht Münster eingegangenen Klage gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, dass sich die Kündigung gemäß § 102 BetrVG als unwirksam erweise, da der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Es sei auch während der Wartezeit nicht ausreichend, dem Betriebsrat lediglich mitzuteilen, "dass" eine Kündigung ausgesprochen werden solle, sondern es müsse auch angegeben werden, "warum" an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses kein Interesse mehr bestehe.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 25.08.2022 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat gemeint, dass die Kündigung wirksam sei. Das Kündigungsschutzgesetz finde auf das Arbeitsverhältnis noch keine Anwendung und die Betriebsratsanhörung werde den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes zu Wartezeitkündigungen gerecht. Nach dem Grundsatz der subjektiven Determinierung sei bei einer Kündigung während der Wartezeit die Substantiierungspflicht nicht an den Maßstäben des noch nicht anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes zu messen, sondern der Arbeitgeber habe lediglich diejenigen Umstände mitzuteilen, die für seinen Kündigungsentschluss maßgeblich seien. Das habe die Beklagte vorliegend getan. Mit der Formulierung, dass an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses kein Interesse bestehe, habe die Beklagte gegenüber dem Betriebsrat ausreichend deutlich gemacht, dass die Kündigung allein von subjektiven Wertungen getragen sei.

Das Arbeitsgericht Münster hat mit Urteil vom 15.12.2022 (Az. 3 Ca 1033/22), auf dessen Inhalt wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands erster Instanz ergänzend Bezug genommen wird, festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 25.08.2022 beendet worden ist. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Da das Arbeitsverhältnis noch keine sechs Monate bestanden habe, finde das Kündigungsschutzgesetz noch keine Anwendung. Die Kündigung erweise sich auch nicht gemäß § 102 BetrVG als unwirksam, da der Betriebsrat ausreichend informiert worden sei. Die Beklagte habe dem Betriebsrat die Sozialdaten des Klägers mitgeteilt sowie, dass das Kündigungsschutzgesetz noch keine Anwendung finde und dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht in ihrem Interesse liege. Dies sei nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kammer anschließe, ausreichend. Denn bei einer Kündigung innerhalb der Wartezeit sei die Substantiierungspflicht nicht an den Merkmalen der Kündigungsgründe des noch ...

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