Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendbarkeit der Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes im Falle einer Zurückweisung der Kündigungserklärung nach § 174 BGB
Leitsatz (amtlich)
1. Ob § 4 KSchG auch auf Fälle anwendbar ist, in denen zuvor die Kündigung gemäß § 174 BGB mangels Vorlage einer Originalvollmacht zurückgewiesen wurde, kann in einem Fall wie dem vorliegenden offenbleiben.
2. Versäumt der Kläger nicht nur die Klagefrist gemäß § 4 KSchG sondern nimmt er darüber hinaus auch noch die später erhobene Kündigungsschutzklage zurück, so hat er das Recht verwirkt, sich später auf die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 174 BGB zu berufen.
Normenkette
BGB § 174; KSchG §§ 4, 7; BGB § 242
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Entscheidung vom 16.03.2023; Aktenzeichen 7 Ca 653/22) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 16.03.2023 - 7 Ca 653/22 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit zweier Kündigungen und dabei insbesondere um die Frage, ob und in welchem Umfang auch für die Fälle der Zurückweisung der Kündigungserklärung gemäß § 174 BGB die Regelungen in §§ 4 und 7 KSchG Anwendung finden.
Der Kläger war seit dem 01.02.2022 bei der Beklagten in Teilzeit beschäftigt. Dafür erhielt er vereinbarungsgemäß ein Bruttoentgelt in Höhe von 983,18 EUR pro Monat.
Mit Schreiben vom 19.02.2022, einem Samstag, das dem Kläger am gleichen Tag persönlich übergeben worden ist, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 07.03.2022 "innerhalb der Probezeit". Dem Kündigungsschreiben war ein weiteres Schreiben (wohl in Kopie) mit dem Datum vom 18.05.2021 beigefügt (Bl. 17 d.A.), das von beiden Geschäftsführern der Beklagten unterzeichnet war. In diesem Schreiben heißt es wörtlich:
Information an unsere Mitarbeiter/innen
Vollmacht
Sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
wir setzten Sie darüber in Kenntnis,
dass Ihr Hausleiter,
Herr A S
In Ihrer Filiale berechtigt ist, selbständig Einstellungen und Entlassungen vorzunehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Der Kläger wies die Kündigung mit Schreiben vom 23.02.2022 mangels Vorlage einer Originalvollmacht unter ausdrücklicher Bezugnahme auf § 174 BGB zurück. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis abermals mit Schreiben vom 08.03.2022 zum 23.03 2022. Während das Schriftbild der Unterschriften über der jeweils gedruckten Zeile "i.V. A S" unter der Kündigung vom 19.02.2022 (Bl. 16 d.A.), unter der Arbeitsvertragsurkunde vom 26.01.2022 (Bl. 26) und unter dem Überstundenantrag vom 29.01.2022 identisch zu sein scheint, weicht das Schriftbild unter der zweiten Kündigung vom 08.03.2022 (Bl. 21 d.A.) deutlich ab. Das Schriftbild der Unterschriften des weiteren Unterzeichnenden, dem Zeugen C, ist dem gegenüber durchgehend gleich.
Mit der seit Dienstag, dem 15.03.2022, beim Arbeitsgericht Aachen anhängigen Klage hat sich der Kläger gegen beide Kündigungen gewandt. Nach einem Hinweis des Arbeitsgerichts im Rahmen der Gütesitzung vom 08.09.2022, dass die Klage gegen die erste Kündigung nach dem Maßstab des § 4 KSchG zu spät erhoben worden sei und dass diesbezüglich um Stellungnahme binnen drei Wochen gebeten werde, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 14.11.2022 (Bl. 147 d.A), also weitere sechs Wochen später, den Antrag zu 1 aus der Klageschrift, mit dem er sich gegen die Kündigung vom 19.02.2022 gewandt hatte, zurückgenommen.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 08.03.2022 zugegangen am 09.03.2022 nicht aufgelöst wurde.
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien über die letzte mündliche Verhandlung hinaus ungekündigt zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bereits aufgrund der Kündigung vom 19.02.2022 zum 07.03.2022 sein Ende gefunden habe. Am Tag des Zugangs der zweiten Kündigung habe deshalb zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis mehr bestanden.
Das Arbeitsgericht Aachen hat die Klage mit Urteil vom 16.03.2023 mit der Begründung abgewiesen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien tatsächlich aufgrund der fristgerechten Probezeit-Kündigung der Beklagten vom 19.02.2022 zum 07.03.2022 beendet worden sei. Diese Kündigung gelte gemäß § 7 KSchG als rechtswirksam. Die Kündigung sei dem Kläger unstreitig am 19.02.2022 zugegangen und die Klage sei erst am 15.03.2022, also nach Ablauf von drei Wochen, beim Arbeitsgericht eingegangen. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass zwischen den Parteien nach der vom Kläger erklärten Rücknahme des Kündigungsschutzantrages gegen die Kündigung vom 19.02.2022 Vergleichsverhandlungen geführt worden seien. Denn die Dreiwochenfrist sei eine prozessuale Klageerhebungsfrist mit materieIlrechtIicher Wirkung und unterliege daher nicht der Disposition der Parteien. Jedenfalls die Rücknahme des Kün...