Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebungsvertrag - Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung - Inhaltskontrolle bei strukturell ungleicher Verhandlungsstärke
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine vorübergehende Störung der Geistestätigkeit bei Abgabe der Willenserklärung liegt nur für den Fall einer hochgradigen Bewußtseinstrübung vor, die das Erkennen von Inhalt und Wesen der Handlung ganz oder in bestimmter Richtung ausschließt. Dafür ist der Anfechtende darlegungs- und beweispflichtig.
2. Eine Anfechtung wegen Irrtums nach § 119 BGB kann nicht darauf gestützt werden, daß in der Aufhebungsvereinbarung der Beendigungsgrund nicht genannt, sondern mit dem bloßen Hinweis auf eine - unzutreffende - Rechtsnorm schlagwortartig angedeutet wird.
3. Eine Anfechtung wegen Drohung mit einer Kündigung kommt nach § 123 BGB in den Fällen nicht in Betracht, in denen ein verständiger Arbeitgeber eine Kündigung ernsthaft in Erwägung ziehen durfte, ohne daß es zwingend darauf ankommt, ob sich die in Aussicht gestellte Kündigung in einem Kündigungsschutzprozeß als rechtsbeständig erwiesen hätte.
4. Ein Auflösungsvertrag ist im Anschluß an das Urteil des BAG vom 30.09.1992 - 2 AZR 268/93 (= EzA § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr 13) nicht allein deshalb unwirksam oder anfechtbar, weil der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht eingeräumt und ihm auch das Thema des beabsichtigten Gesprächs vorher nicht mitgeteilt hat. Im Rahmen der verfassungsrechtlich geschützten Privatautonomie obliegt zunächst jeder Partei selbst die Wahrnehmung der eigenen Interessen. Der Arbeitgeber ist nicht von vornherein gehalten, ein gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtetes Interesse des Arbeitnehmers besonders zu fördern. Die Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers schließt grundsätzlich die Möglichkeit ein, voreilig und ohne hinreichende rationale Überlegung Willenserklärungen abzugeben, wie es auch jedem anderen Teilnehmer im Rechtsleben geschehen kann. Der Arbeitnehmer hat kein allgemeines Reuerecht.
5. Ein korrigierender gerichtlicher Eingriff in die Freiheit der Vertragsgestaltung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird regelmäßig lediglich in Erwägung zu ziehen sein, wenn nicht nur eine objektive Ungleichgewichtigkeit von Leistung und Gegenleistung besteht, sondern darüber hinaus die eine Partei die andere mit unlauteren Mitteln zum Abschluß des Aufhebungsvertrages bestimmt hat.
Normenkette
BGB § 123; GG Art. 2 Abs. 1; BGB § 105 Abs. 2, § 119 Abs. 1
Fundstellen
BB 1996, 907 (L1-5) |
NZA 1996, 535 |
NZA 1996, 535-539 (LT1-5) |
RzK, I 9i Nr 40 (L1-5) |
AuA 1996, 206-209 (LT1) |
EzA-SD 1995, Nr 26, 14-18 (LT1-5) |
LAGE § 104 BGB, Nr 1 (L1-5) |
LAGE § 123 BGB, Nr 22 (L1-5) |
LAGE § 611 BGB Aufhebungsvertrag, Nr 18 |