Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozial-TV Öffentlicher Dienst. Sozialtarifvertrag. Befristung. Nachwirkung. Nachwirkung des Tarifvertrages zur sozialen Absicherung vom 13. September 2005 (Sozialtarifvertrag) nach Ablauf seiner befristeten Geltung bis zum 31. Dezember 2009. Abfindungsanspruch aufgrund Nachwirkung des Tarifvertrages zur sozialen Absicherung im Öffentlichen Dienst
Leitsatz (amtlich)
1. Nach § 4 Absatz 5 (TVG) gelten die Rechtsnormen eines Tarifvertrages auch nach seinem Ablauf weiter und zwar so lange, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Damit soll in erster Linie verhindert werden, dass durch Tarifvertrag geprägte Arbeitsverhältnisse bei dessen Ablauf so lückenhaft werden, dass sie nicht mehr durchgeführt werden können. Die Nachwirkung aus § 4 Absatz 5 TVG dient aber auch dazu, einen einmal erreichten Standard im Arbeitsverhältnis abzusichern. Der Arbeitnehmer soll bei Auslaufen des Tarifvertrages nicht automatisch mit seinen Arbeitsbedingungen auf das gesetzlich geregelte Mindestmaß zurückfallen (vgl. BAG 22. Juli 1998 - 4 AZR 403/97 - BAGE 89, 241 = AP Nr. 32 zu § 4 TVG Nachwirkung = DB 1998, 2425).
2. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Unterzeichner des Sozialtarifvertrages für den öffentlichen Dienst die gesetzliche Regelung der Nachwirkung aus § 4 Absatz 5 TVG im Sozialtarifvertrag abbedingen wollten.
3. Maßbeglich für die Bemessung der Abfindung nach dem Sozialtarifvertrag ist das Tabellenentgelt zum Zeitpunkt des Ablaufs des Sozialtarifvertrages, da die Nachwirkung auch dazu führt, dass die Tarifverträge, auf die der nachwirkende Tarifvertrag Bezug nimmt, nur mit dem Regelungsgehalt weitergelten, den sie zu diesem Zeitpunkt hatten (BAG 10. März 2004 - 4 AZR 140/03 - ZTR 2004, 407 = SAE 2005, 172).
Normenkette
TVG §§ 1, 4, 4 Abs. 5; TVöD § 34; TV Soziale Absicherung § 4 Abs. 2, § 5; BGB § 611 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Entscheidung vom 08.03.2012; Aktenzeichen 3 Ca 1992/11) |
Tenor
1. Die Berufung wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger macht Ansprüche in Höhe von rund 10.000,00 Euro aus dem Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 13. September 2005 (Sozialtarifvertrag), abgeschlossen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände einerseits und der Dienstleistungsgewerkschaft v. und anderen Gewerkschaften andererseits geltend.
Der Sozialtarifvertrag lautet soweit hier von Bedeutung wörtlich:
"§ 4 Abfindung
(1) Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis aus Gründen des Personalabbaus entweder gekündigt oder durch Auflösungsvertrag beendet wird, erhalten eine Abfindung.
(2) Die Abfindung beträgt für jedes volle Jahr der Beschäftigungszeit (§ 34 Abs. 3 Satz 1 und 2 TVöD) ein Viertel des letzten Tabellenentgelts, mindestens aber die Hälfte und höchstens das Fünffache dieses Entgelts. ...
§ 5 In-Kraft-Treten
Dieser Tarifvertrag tritt am 1. Oktober 2005 in Kraft und am 31. Dezember 2009 außer Kraft.
..."
Die Beklagte, eine amtsangehörige Gemeinde, hatte den Kläger seit Oktober 1992 als Gemeindearbeiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete nach arbeitgeberseitiger Kündigung mit dem Jahresende 2010. Die Kündigungsschutzklage war vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht ohne Erfolg geblieben, da in der Gemeinde keine fünf Arbeitnehmer mehr beschäftigt sind (LAG Mecklenburg-Vorpommern 25. Oktober 2011 - 5 Sa 103/11 -).
Zu einer direkten Tarifbindung der Parteien ist nichts vorgetragen. Im bis zuletzt noch maßgeblichen Arbeitsvertrag aus Oktober 1992 (Kopie hier Blatt 9) heißt es allerdings:
"Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem BMT-G-O und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der jeweils geltenden Fassung. Außerdem finden die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung."
Der Kläger war zuletzt aus der Entgeltgruppe 3, Stufe 6 des TVöD (VkA - Tarifgebiet Ost) vergütet worden und beide Parteien gehen davon aus, dass diese Zuordnung der tariflichen Eingruppierung der klägerischen Tätigkeit als Gemeindearbeiter entspricht. Das Tabellenentgelt des Klägers hat demnach im Dezember 2009, dem Zeitpunkt, zu dem der Sozialtarifvertrag aufgrund seiner Befristung ausgelaufen war, brutto monatlich 2.167,44 Euro betragen.
Nachdem es dem Kläger nicht gelungen war, im Kündigungsschutzrechtsstreit eine vergleichsweise Einigung unter Einschluss möglicher Ansprüche nach dem Sozialtarifvertrag zu erzielen, hat er den Anspruch klageweise geltend gemacht. Die Klage ist im November 2011 beim Arbeitsgericht eingegangen und sie konnte noch im November 2011 der Beklagten zugestellt werden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit seinem Urteil vom 8. März 2012 (3 Ca 1992/11) in Höhe von in der Hauptsache 9.900,45 Euro stattgegeben und sie im Übrigen zurückgewiesen sowie die Kosten der Beklagten zu 98 Prozent auferlegt. Außerdem hat es die Berufung gesondert zugelassen. - Auf dieses Urteil wird wegen der Einzelh...