Entscheidungsstichwort (Thema)

Darlegungslast des Betriebsrats zur Freistellung von Betriebsratsmitgliedern außerhalb des gesetzlich geregelten Schwellenwerte

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ohne tatsächlich begründete Darlegungen des Betriebsrats, dass seine im Einzelnen bestimmte Arbeitsbelastung gegenüber dem in § 38 Abs. 1 BetrVG gesetzlich unterstellten Normalfall derart erhöht ist, dass die generelle und völlige Freistellung eines Betriebsratsmitglieds erforderlich ist, kommt eine Freistellung eines seiner Mitglieder gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG nicht in Betracht.

2. Zur Freistellung gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG hat der Betriebsrat die besonderen Umstände so detailliert zu beschreiben, dass die sich daraus voraussichtlich ergebenden organisatorischen und zeitlichen Belastungen zumindest bestimmbar werden und erkennbar wird, dass die Notwendigkeit der Freistellung für die gesamte (Rest-) Dauer der Wahlperiode besteht, denn es muss gerade die pauschale Freistellung nach Art und Umfang des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung der dem Betriebsrat obliegenden Aufgaben erforderlich sein.

3. Bei einer Abweichung von dem in § 38 Abs. 1 BetrVG geregelten Normalfall hat der Betriebsrats die Arbeitsbelastung des gesamten Betriebsrats zu beschreiben; aus dem Vorbringen des Betriebsrats muss ersichtlich werden, dass die Möglichkeit einer Arbeitsbefreiung weiterer Betriebsratsmitglieder aus konkretem Anlass nicht ausreicht, die anfallenden Betriebsratsaufgaben ordnungsgemäß bewältigen zu können, obwohl ständig weniger als 200 Arbeitnehmer beschäftigt sind.

4. Auch wenn der Betriebsrat in der Organisation seiner Betriebsratsarbeit frei und keinen Weisungen unterworfen ist, kann er durch das Unterlassen zumutbarer organisatorischer Maßnahmen nicht die Notwendigkeit einer ständigen Freistellung seines Vorsitzenden begründen, obwohl der Schwellenwert des § 38 Abs. 1 BetrVG nicht erreicht wird.

5. Der Betriebsrat oder der Gesamtbetriebsrat können ein Recht auf Freistellung eines oder mehrerer seiner Mitglieder von beruflicher Tätigkeit nicht aus § 38 Abs. 1 BetrVG zur Wahrnehmung von Aufgaben des Gesamtbetriebsrats ableiten.

6. Gemäß § 40 Abs. 1 EBRG gilt für die Mitglieder eines Europäischen Betriebsrats, die im Inland beschäftigt sind, § 37 Abs. 2 BetrVG entsprechend; einen pauschalen Anspruch auf Freistellung ohne konkrete Darlegung der Erforderlichkeit regelt diese Vorschrift nicht.

 

Normenkette

BetrVG § 37 Abs. 2, §§ 38, 38 Abs. 1; EBRG § 40 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 09.12.2014; Aktenzeichen 8 BV 20/14)

 

Tenor

  1. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 9. Dezember 2014, Az. 8 BV 20/14, abgeändert und festgestellt, dass der Betriebsrat ohne konkrete Darlegung der Erforderlichkeit keinen Anspruch auf eine pauschale, vollständige Freistellung eines Betriebsratsmitglieds hat, solange die gesetzliche Mindeststaffel des § 38 Abs. 1 BetrVG nicht überschritten wird.
  2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
 

Gründe

A. Die Beteiligten streiten über die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds.

Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) betreibt ein Unternehmen, dass Dienstleistungen zur Instandsetzung und -haltung von Schienenfahrzeugen des Güter- und Personenverkehrs anbietet. Sie beschäftigt an fünf Standorten im Bundesgebiet über 800 Arbeitnehmer. Beteiligter zu 2) ist der im Werk K. gebildete Betriebsrat. In diesem Betrieb sind regelmäßig weniger als 200 Arbeitnehmer beschäftigt. Im Mai 2014 fanden Betriebsratsneuwahlen statt; wahlberechtigt waren 162 Arbeitnehmer.

Die Arbeitgeberin hatte den Betriebsratsvorsitzenden in der vorherigen Wahlperiode - freiwillig - vollständig von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt, obwohl die gesetzliche Mindeststaffel des § 38 Abs. 1 BetrVG auch in der Vergangenheit nicht erreicht war. Seit der Neuwahl 2014 ist die Arbeitgeberin hierzu nicht mehr bereit. Der Betriebsrat ist der Ansicht, es sei weiterhin notwendig, seinen Vorsitzenden vollständig von der beruflichen Tätigkeit freizustellen, weil er auch Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats (GBR), stellvertretener Vorsitzender des Europäischen Betriebsrats (EBR) und Mitglied des Arbeitsausschusses des EBR sei. Seine Tätigkeit sei so umfangreich, dass eine vollständige Freistellung erforderlich sei.

Außergerichtlich teilte der Betriebsratsvorsitzende auf Briefpapier des GBR der Geschäftsleitung mit Schreiben vom 08.07.2014 auszugsweise mit:

"... Ihr Schreiben vom 30.06.2014 hat mich schon verwundert. Weder nach den BR-Wahlen noch im Vorfeld der konst. GBR-Sitzung haben Sie in irgendeiner Weise angedeutet, dass Sie eine Freistellung nach § 38 BetrVG nicht mehr dulden bzw. als notwendig erachten. Gerade im Nachgang der BR-Wahlen war für mich als Vorsitzender des Wahlausschuss, als Vorsitzender und Schriftführer des BR und als Vorsitzender des GBR entsprechend viel organisatorische Arbeit zu erledigen, so dass rückwirkend eine detaillierte Auflistung kaum möglich ist. Dennoch will...

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