Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmeverzug. Anrechnung. Freistellung. Kündigungsmöglichkeit. Urlaub. Anrechnung anderweitigen Verdienstes und Urlaubsgewährung während der Freistellung
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 615 Satz 2 BGB muss sich der Arbeitnehmer den Wert desjenigen, was er während des Annahmeverzugs durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt, auf die vom Arbeitgeber nach § 615 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 611 BGB geschuldete Vergütung anrechnen lassen.
2. Der Arbeitgeber gerät nach Maßgabe der §§ 293 ff. BGB in Verzug, wenn er die vom Arbeitnehmer geschuldete Arbeitsleistung nicht annimmt. Annahmeverzug setzt mithin voraus, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber noch eine Arbeitsleistung schuldet. Fehlt es hieran, kann der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeitsleistung nicht in Verzug geraten. Auch eine Anrechnung von Zwischenverdienst nach § 615 Satz 2 BGB scheidet dann aus.
3. Eine einvernehmliche Freistellungsvereinbarung stellt regelmäßig einen Erlassvertrag im Sinne des § 397 BGB dar. Der Arbeitgeber verzichtet nämlich auf die vertraglich vom Arbeitnehmer geschuldete Arbeitsleistung, und der Arbeitnehmer verzichtet im Gegenzug auf seinen Beschäftigungsanspruch. Hierdurch erlischt die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers. Er schuldet keine Dienste mehr. Dem Arbeitgeber fehlt dadurch die Gläubigerstellung; er befindet sich daher nicht im Annahmeverzug.
Normenkette
BGB §§ 397, 615 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Urteil vom 01.10.2008; Aktenzeichen 9 Ca 611/08) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 01.10.2008, Az.: 9 Ca 611/08, abgeändert und der Beklagte verurteilt, an den Kläger 2.700,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.04.2008 zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Frage, ob der Beklagte berechtigt ist, von der Vergütung des Klägers während einer vereinbarten Freistellung anderweitigen Verdienst abzuziehen.
Der Kläger war bei der J.F. GmbH und der W. S. B. GmbH beschäftigt. Eine ihm gegenüber am 25.10.2007 ausgesprochene fristlose und hilfsweise ordentliche Kündigung griff der Kläger mit einer Kündigungsschutzklage an.
Der Beklagte wurde am 21.11.2007 zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Mit Beschluss vom 05.12.2007 wurde der Insolvenzschuldnerin ein allgemeines Verfügungsverbot gemäß § 22 Abs. 1 InsO auferlegt. Am 01.02.2008 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.
Unter dem 10.01.2008 schlossen die Parteien einen Abwicklungsvertrag. Dieser lautet auszugsweise wie folgt:
„§ 1
Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis mit Ablauf der vertraglich vereinbarten ordentlichen Kündigungsfrist zum 31.03.2008 aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung endet.
Der Arbeitnehmer wird von der Erbringung seiner Arbeitsleistung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses freigestellt.
Die Parteien sind sich weiter einig darüber, dass evtl. bestehende Resturlaubsansprüche in Natura genommen wurden und abgegolten sind.
Der Arbeitnehmer verpflichtet sich weiter, die für den Zeitraum 01.01.2008 bis 31.03.2008 bestehenden Urlaubsansprüche in Natura zu nehmen, so dass Resturlaubsansprüche bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr bestehen.
…
§ 6
Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, mit einer Ankündigungsfrist von 3 Werktagen das Arbeitsverhältnis mit der Insolvenzverwaltung vorzeitig zu beenden.”
Von der Vergütung des Klägers für März 2008 brachte der Beklagte 2.700,00 EUR brutto in Abzug, die der Kläger in einem anderen Arbeitsverhältnis verdient hatte.
Der Kläger hat vorgetragen:
Infolge der vereinbarten Freistellung habe kein Annahmeverzug des Beklagten und damit keine Anrechnungsmöglichkeit nach § 615 Satz 2 BGB bestanden. Die Regelungen des Abwicklungsvertrages seien abschließend. Es sei ihm nicht verboten gewesen, eine andere Arbeit aufzunehmen. Die vom Beklagten zu zahlende Vergütung sei die Gegenleistung für seine, des Klägers, Zustimmung zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 2.700,00 EUR brutto zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat vorgetragen:
Die Möglichkeit der Anrechnung anderweitigen Verdienstes sei zwar nicht ausdrücklich vereinbart worden, ergebe sich aber aus einer Auslegung des Abwicklungsvertrages. Der Kläger sei freigestellt worden, obwohl der Betrieb erst zum 30.04.2008 eingestellt worden sei. In § 6 des Abwicklungsvertrages sei dem Kläger, der sich bereits in Bewerbungsgesprächen befunden habe, die Möglichkeit eingeräumt worden, das Arbeitsverhältnis kurzfristig zu beenden, falls er vorzeitig einen neuen Arbeitsplatz finden würde. Aus wirtschaftlichen Gründen habe er, der Beklagte, selbstverständlich erwartet, dass der Kläger den Abschluss eines neuen Arbeitsverhältnisses anzeigen und eine Beendigung des alten Arbeitsverhältnisses herbeifü...