Entscheidungsstichwort (Thema)

Gehaltsansprüche. Vergütungspflicht. Annahmeverzug. Freistellung von der Arbeit. Arbeitspflicht. Erlass der Arbeitspflicht. Beschäftigungsanspruch. Auslegung. Annahmeverzugslohn bei kündigungsbedingter Freistellung von der Arbeitspflicht. unbegründete Zahlungsklage bei Anrechnung anderweitigen Verdienstes

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Macht die Arbeitnehmerin geltend, dass die Arbeitgeberin ihr über eine Freistellungserklärung hinaus einen Erlassvertrag angeboten hat, mit dem nicht nur der Beschäftigungsanspruch entfallen sondern auch die Arbeitspflicht vertraglich erlassen werden sollte, sind dafür besondere Anhaltspunkte erforderlich.

2. Mit der Freistellung von der Arbeitspflicht erklärt die Arbeitgeberin regelmäßig nur, dass sie die Annahme der von der Arbeitnehmerin geschuldeten Arbeitsleistung abgelehnt; gemäß § 293 BGB gerät die Arbeitgeberin durch diese Erklärung in Annahmeverzug.

3. Durch die Erklärung im Kündigungsschreiben, sie ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr beschäftigen zu können, verzichtet die Arbeitgeberin auf ein Angebot der Arbeitsleistung seitens der Arbeitnehmerin und gerät dadurch gemäß § 293 BGB in Annahmeverzug; ist der Beginn des Annahmeverzugs aufgrund der Erklärung im Kündigungsschreiben und der zeitlichen Festlegung der Arbeitspflicht hinreichend bestimmt, bedarf es keines wörtlichen Angebots der Arbeitsleistung durch die Arbeitnehmerin, wenn die Arbeitgeberin hat erkennen lassen, die Arbeitnehmerin nach dem genannten Zeitpunkt nicht mehr beschäftigen zu können.

4. Die Arbeitnehmerin muss sich jedoch gemäß § 615 Satz 2 BGB anderweitig erzielten Verdienst anrechnen lassen, wenn sie dort zumindest das verdient hat, was sie im gleichen Zeitraum bei der früheren Arbeitgeberin verdient hätte und nunmehr im Klagewege geltend macht.

 

Normenkette

BGB §§ 293, 397, 611 Abs. 1, § 615 Sätze 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Lübeck (Entscheidung vom 14.06.2011; Aktenzeichen 3 Ca 693/11)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 14. Juni 2011 - 3 Ca 693/11 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Gehaltsansprüche der Klägerin aus einem beendeten Arbeitsverhältnis.

Die Klägerin war nach ihrer Ausbildung seit Mitte des Jahres 1997 bei der Beklagten als Versicherungskauffrau zu einem monatlichen Gehalt von zuletzt 2.700,-- EUR brutto beschäftigt. Mitte des Jahres 2010 beschlossen die Gesellschafter der Beklagten, die Geschäftstätigkeit zum 31.12.2010 vollständig einzustellen. Auf der Betriebsversammlung vom 27.09.2010 unterrichtete der Prokurist der Beklagten die Belegschaft hierüber. Er teilte zugleich mit, dass vier Mitarbeiter von der Firma M... Assekuranzkontor GmbH (im Folgenden: M...) übernommen werden können. Noch am gleichen Tag suchte er gemeinsam mit der Klägerin die Firma M... auf.

Ebenfalls am 29.07.2010 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu den beabsichtigten Kündigungen an. In dem Anhörungsschreiben wies die Beklagte unter anderem auf folgendes hin:

"... die beabsichtigte Kündigung ist aus dringenden betriebsbedingten Gründen veranlasst. Die Firma Dr. E... GmbH & Co. KG wird die bei ihr beschäftigten Mitarbeiter über diesen Termin hinaus nicht weiter beschäftigen können, unabhängig etwa darüber hinaus zu leistender Vergütung als Folge längerer Kündigungsfristen. Das Geschäft wird ersatzlos eingestellt. Die Gesellschafter wie auch die Geschäftsführung bedauert diesen Schritt, sehen aber aufgrund der gegebenen Umstände keine Fortführungsperspektiven."

Mit Schreiben vom 26.08.2010 (Anlage K 2 = Bl. 11 d.A.) kündigte die Beklagte der Klägerin fristgerecht zum 28.02.2011. Zur Begründung führte sie u.a. aus:

"...wie wir Ihnen und Ihren Kollegen schon mitgeteilt haben, werden wir den Betrieb der Firma Dr. E... GmbH & Co KG spätestens zum 31.12.2010 vollständig einstellen. Der Geschäftsbetrieb wird stillgelegt. Eine Beschäftigungsmöglichkeit über den 31.12.2010 hinaus besteht daher nicht. Wir bedauern daher, das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aus dringenden betrieblichen Gründen ordentlich mit Wirkung zum 28.02.2011, hilfsweise ordentlich zum nächstzulässigen Termin zu kündigen.

Sofern Sie vor Ablauf der Frist aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden wollen, um anderweitig eine neue Aufgabe zu übernehmen, werden wir Ihnen selbstverständlich nicht im Wege stehen. ..."

Bis zum Jahresende arbeitete die Klägerin für die Beklagte und erhielt bis einschließlich Dezember 2010 die ihr vertraglich zustehende Vergütung. Zum Jahresende stellte die Beklagte ihren operativen Geschäftsbetrieb ein.

Auf Vermittlung der Beklagten stellte die Fa. M... die Klägerin zum 01.01.2011 ein. Die Klägerin nahm dort am 03.01.2011 ihre Tätigkeit auf. Sie erzielte bei der Firma M... ein Monatsgehalt in zumindest gleicher Höhe wie zuvor bei der Beklagten. Vor diesem Hintergrund bot die Beklagte mit Schreiben 23.01.2011 der Klägerin an, das zwischen den Parteien bestehende...

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