Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Ende des Verletztengeldanspruchs. Feststellung durch Verwaltungsakt. Begründungsmangel. Prognoseentscheidung. gerichtliche Überprüfung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die im Rahmen der Feststellung des Endes eines Anspruch auf Verletztengeld nach § 46 Abs 3 S 2 SGB 7 erforderliche Prognose, dass mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erbringen sind, ist gerichtlich in vollem Umfang zu überprüfen. Ein Beurteilungsspielraum steht dem Unfallversicherungsträger insoweit nicht zu.

2. Enthält ein entsprechender, das Ende des Anspruches auf Verletztengeld feststellender Bescheid keine über die Darstellung der gesetzlichen Regelung und deren Voraussetzungen bejahende Begründung, liegt gleichwohl eine Prognoseentscheidung vor, wenn auch ohne hinreichende Begründung (§ 35 Abs 2 S 1 und 2 SGB 10). Dieser Begründungsmangel führt nicht zur Aufhebung des Verwaltungsaktes, denn die gerichtliche Kontrolle erfolgt am Maßstab des objektiven Rechts.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 24.05.2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Einstellung von Verletztengeld zum 30.04.2009 streitig.

Der am 1956 geborene Kläger, i. Staatsangehöriger, erlitt am 02.11.2007 im Rahmen seiner bis zum 31.01.2008 arbeitsvertraglich befristeten beruflichen Tätigkeit als Bauhelfer einen Arbeitsunfall, indem er auf einer Baustelle von einem Bagger von hinten erfasst und überrollt wurde. Es kam dabei zu einem schweren Thorax- und Beckentrauma mit u.a. schwerer Lungenkontusion beidseits, Rippenserienfraktur, komplexer Beckenfraktur sowie instabiler BWK 11- und LWK 5-Quersatzfraktur.

Nach erfolgter stationärer medizinischer Akutbehandlung und einer stationären medizinischen Rehabilitation (wegen der Einzelheiten wird auf die Entlassungsberichte Bl. 13 ff., 71 ff. und 61 ff. VA Bezug genommen) wurde der Kläger wegen der damals im Vordergrund der geschilderten Beschwerden stehenden Schmerzzustände vor allem im Bereich der Brustwirbelsäule, der Hüfte und der Schultern im Februar/März 2008 in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. (BG-Klinik) stationär behandelt. Bei Entlassung bestanden seitens der Ärzte erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger in seiner bisherigen Tätigkeit als Bauhelfer mit zum Teil schwerer körperlicher Tätigkeit wieder arbeitsfähig werden würde (vgl. Befund- und Entlassungsbericht vom 09.04.2008, Bl. 124/128 VA). Im weiteren Verlauf stellte sich der Kläger regelmäßig bei dem Durchgangsarzt Dr. F. vor, der fortlaufend Arbeitsunfähigkeit bescheinigte, so auch Ende März 2009 „voraussichtlich bis“ (so die Formulierung im Vordruck) Ende Oktober 2009 (Bl. 398 VA). Anlässlich der am 08.04.2008 zur Verlaufskontrolle erfolgten Wiedervorstellung des Klägers in der BG-Klinik wurde das weitere Vorgehen u.a. mit dem Berufshelfer der Beklagten besprochen (vgl. Reha-Plan, Bl. 140/141 VA). Dokumentiert ist die Einschätzung, dass der Versicherte seine bisherige Tätigkeit nicht wieder aufnehmen könne und die Einleitung von berufshelferischen Maßnahmen auf Grund der Komplexität der Verletzungsfolgen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich sei. Nachdem der Kläger am 12.06.2008 in der BG-Klinik wie schon bei der Entlassung aus der stationären Behandlung im März 2008 mit Unterarmgehstützen erschien und keinerlei Besserung angab, gingen die behandelnden Ärzte der BG-Klinik von einem Verharrungszustand aus (Bl. 153/155 VA). Hieran änderte auch eine erneute stationäre Behandlung in der BG-Klinik im Februar/März 2009 nichts (Bl. 401 ff. VA). Wegen aufgetretener psychischer Beschwerden (vgl. Bericht der BG-Klinik vom Mai 2008, Bl. 134 VA, Bericht des Facharztes für Neurologie Dr. E. , Chefarzt der Klinik für Neurologie im Klinikum W. , vom Juni 2008 mit Hinweis auf begrenzte Sprachkenntnisse des Klägers, Bl. 151 f. VA) befand sich der Kläger ab April 2009 bei dem seine Muttersprache sprechenden Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. , der ausweislich seines Befundberichts vom 22.05.2009 (Bl. 456/ 461 VA) eine mittelschwere bis schwere depressive Episode, eine Anpassungsstörung, eine posttraumatische Belastungsreaktion sowie ein chronifiziertes Körperschmerzsyndrom diagnostizierte und den Kläger auch nicht zur Ausübung von Hilfstätigkeiten in der Lage sah. Anlässlich einer Beratung durch den Berufshelfer am 16.12.2009 (Bl. 651 VA) wurde das Fehlen einer Tagesstruktur deutlich und deshalb an ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis gedacht, wobei Möglichkeiten zur Unterstützung der Arbeitsaufnahme, insbesondere Eingliederungszuschüsse, als grundsätzlich möglich angesehen wurden.

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