Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme eines begünstigenden Sozialleistungsbescheides: Voraussetzungen der Rücknahme eines Zuschusses zu einer freiwilligen Krankenversicherung eines Rentenbeziehers nach Eintritt der gesetzlichen Versicherungspflicht. Eintritt der gesetzlichen Versicherungspflicht als Änderung zugunsten des Rentenbeziehers. Erstattung von Beiträgen als Rücknahmegrund. Kennenmüssen einer durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts herbeigeführten geänderten Rechtslage
Orientierungssatz
1. Der Eintritt eines bisher freiwillig krankenversicherten Rentenbeziehers, der vom Rententräger einen Zuschuss zu den Versicherungsbeiträgen erhält, in die gesetzliche Krankenpflichtversicherung stellt keine Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB 10 zugunsten des Rentenbeziehers dar.
2. Entfällt der vormals festgesetzte Zuschuss eines Rententrägers zu den Kosten der freiwilligen Krankenversicherung eines Rentenbeziehers infolge Eintritts des Rentenbeziehers in die gesetzliche Krankenpflichtversicherung, so richtet sich der Zeitpunkt, zu dem der Zuschussbescheid zurück genommen werden kann, nicht nach dem Zeitpunkt, in dem ein Anspruch auf Erstattung der wegen des Eintritts in die Pflichtversicherung zuviel gezahlten Beiträge entsteht. Insoweit fehlt es nämlich an der für das Vorliegen eines Rücknahmegrundes gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 SGB 10 gebotenen Ursächlichkeit zwischen dem Erwerb des Erstattungsbetrags und dem Wegfall des Anspruchs auf Zuschuss zu den Krankenversicherungskosten.
3. Erfolgte eine gesetzliche Anpassung, durch die der Rechtsgrund eines begünstigenden Verwaltungsaktes (hier: Zuschuss eines Rentenbeziehers zu den Kosten der freiwilligen Krankenversicherung) wegfällt aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts, so kann regelmäßig nicht davon ausgegangen werden, dass ein Begünstigter schon allein durch die Veröffentlichung der in Gesetzeskraft erwachsenden Urteilsformel im Bundesgesetzblatt in einem solchen Maße Kenntnis von der geänderten Rechtslage hat, dass eine rückwirkende Aufhebung der begünstigenden Entscheidung ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Urteilsformel gerechtfertigt ist.
4. Allein eine dem materiellen Recht widersprechende Bereicherung eines Sozialleistungsempfängers (hier: Erstattung von bezuschussten Beiträgen in eine freiwillige Krankenversicherung) rechtfertigt für sich noch keine Rücknahme des der Sozialleistung zugrunde liegenden Bescheides im Rahmen der Regelung in § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und 4 SGB 10. Eine Rücknahme ist erst möglich, wenn ein treuwidriges Verhalten des Bereicherungsempfängers hinzu tritt (Entgegen: Sächsischen Landessozialgerichts, Urteil vom 01. Februar 2008, Az.: L 4 R 470/06).
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Aufhebung der Bewilligung von Zuschüssen zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit vom 01. April 2002 bis 30. November 2004 und die Erstattung dieser Zuschüsse in Höhe von 3.202,25 Euro.
Die Klägerin ist Alleinerbin der 1938 geborenen und zwischen dem 01. und 02. Mai 2009 verstorbenen U R (Versicherte), die zuletzt als Außendienstmitarbeiterin tätig war.
Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (nachfolgend ebenfalls Beklagte genannt) bewilligte der freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten mit Bescheid vom 22. Januar 1999 ihren Anträgen entsprechend ab 01. Mai 1999 Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige und einen Zuschuss zur Pflegeversicherung. Der Bescheid enthält folgenden Hinweis: “Der Anspruch auf Beitragszuschuss für die Pflegeversicherung entfällt bei Eintritt von Versicherungspflicht in der Krankenversicherung sowie bei Eintritt von Beitragsfreiheit in der Pflegeversicherung. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns jede Änderung des Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnisses unverzüglich mitzuteilen.„ Außerdem wies die Beklagte darauf hin, dass die Versicherte über ihren Antrag auf Zuschuss zur Krankenversicherung in Kürze weitere Nachricht erhalte.
Mit Bescheid vom 06. April 1999 berechnete die Beklagte die Altersrente wegen Änderung des Krankenversicherungsverhältnisses ab 01. Mai 1999 neu und bewilligte zugleich ab diesem Zeitpunkt einen Zuschuss zur Krankenversicherung. Der Bescheid enthält den Hinweis, dass die im früheren Rentenbescheid gegebenen Hinweise zu Mitteilungspflichten nach wie vor gelten.
Die Zuschüsse zur Kranken- und zur Pflegeversicherung setzte die Beklagte wie folgt fest: Ab 01. Januar 2002 80,91 Euro und 12,51 Euro, insgesamt 93,42 Euro (Bescheid vom 03. August 2001), ab 01. Juli 2002 80,91 Euro und 12,78 Euro, insgesamt 93,69 Euro (Rentenanpassungsmitteilung zum 01. Juli 2002), ab 01. Januar 2003 89,41 Euro und 12,78 Euro, insgesamt 102,19 Euro (Bescheid vom 03. J...