Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Minderung der Leistungsfähigkeit. keine Sperrwirkung der Nahtlosigkeitsregelung für die Beurteilung der subjektiven Verfügbarkeit bzw Arbeitsbereitschaft
Orientierungssatz
1. Die Wirkung der Nahtlosigkeitsregelung des § 125 Abs 1 SGB 3 besteht darin, ein gesundheitliches Leistungsvermögen des Arbeitslosen bis zum Eintritt des in der Rentenversicherung versicherten Risikos der verminderten Erwerbsfähigkeit zu fingieren. Diese Fiktion hindert die Arbeitsverwaltung daran, einen Anspruch auf Arbeitslosengeld mit der Begründung zu verneinen, der Arbeitslose sei objektiv nicht verfügbar. Die Sperrwirkung der Nahtlosigkeitsregelung entfaltet sich jedoch allein im Rahmen der objektiven Verfügbarkeit.
2. Die Feststellungen des Rentenversicherungsträgers zum gesundheitlichen Leistungsvermögen sind aber nicht heranzuziehen für die Beurteilung der subjektiven Verfügbarkeit, dh der Arbeitsbereitschaft. Die fehlende Bereitschaft zur Aufnahme einer zumutbaren Beschäftigung ist keine Frage der Nahtlosigkeit. Insoweit hat die Arbeitsverwaltung eine eigene Beurteilung der subjektiven Verfügbarkeit vorzunehmen, wenn sich der Betroffene der Arbeitsvermittlung nur unterhalb seiner tatsächlichen Leistungsfähigkeit zur Verfügung stellt.
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 4. September 2006 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 23. Mai 2003 bis einschließlich 7. Oktober 2003.
Der 1949 geborene Kläger war seit 1978 als Betriebshelfer bei der S. Hamburg beschäftigt. Seit 1997 war der Kläger arbeitsunfähig und bezog nach dem Ablauf der Entgeltfortzahlung Krankengeld. Vom 17. Januar 1999 an bezog der Kläger Arbeitslosengeld bis 18. April 1999 (Bewilligungsbescheid vom 8. Februar 1999; Anspruchsdauer: 789 Kalendertage). In einem Beratungsvermerk vom 26. Januar 1999 heißt es: "Stellt sich im Rahmen des zu erwartenden Gutachtens zur Verfügung".
Nach anschließender erneuter Arbeitsunfähigkeit mit Entgeltfortzahlungs- und Krankengeldbezug meldete sich der Kläger am 2. Oktober 2002 erneut arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Laut Beratungsvermerk vom selben Tage lag zu diesem Zeitpunkt ein ablehnender Widerspruchsbescheid des Rentenversicherungsträgers vor, der dem Kläger ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne besondere nervliche Belastung und außergewöhnlichen Zeitdruck sowie ohne überlaute Arbeitsumgebung bescheinigte. Der Kläger stellte sich im Rahmen dieses Leistungsvermögens der Arbeitsvermittlung zur Verfügung und bezog Arbeitslosengeld ab 3. November 2002 bis einschließlich 5. März 2003.
Ab 21. Februar 2003 war der Kläger erneut arbeitsunfähig; die Beklagte hob daher wegen des Ablaufs der Leistungsfortzahlung gemäß § 126 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) die Bewilligung ab dem 6. März 2003 mit Bescheid vom selben Datum auf. Der Bescheid erlangte Bestandskraft.
Am 24. März 2003 meldete sich der beschäftigungslose Kläger erneut persönlich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Im schriftlichen Antragsvordruck ist die Frage "Bei erforderlicher ärztlicher Begutachtung bin ich bereit, mich im Rahmen des festgestellten Leistungsvermögens für die Vermittlung zur Verfügung zu stellen" mit "Ja" angekreuzt. Im Beratungsvermerk vom selben Tage heißt es diesbezüglich "Hat keinen KG-Anspruch, war bereits ausgesteuert, aber nicht § 125. Verschlechterung, ist au krank geschrieben bis April, kann neA keine Arbeit aufnehmen. Kopien der Arztberichte an ÄD, Klärung Änderungen zum Vorgutachten, erneute Klärung § 125." In einem weiteren handschriftlichen Vermerk heißt es: "am 24.3. Wb/Alg-Antrag gestellt und abgegeben. Ist lfd. weiter au krank. Rentenantrag ist abgelehnt, Klage läuft. Benötigt Ablehnungsbescheid für das Sozialamt".
Mit Bescheid vom 26. März 2003 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab, da der Kläger erklärt habe, aus gesundheitlichen Gründen keine Arbeit aufnehmen zu wollen. Der Bescheid wurde bestandskräftig; Sozialhilfe wurde an den Kläger nach dessen Angaben wegen der Höhe der Einkünfte der Ehefrau nicht gezahlt.
Am 12. August 2003 und am 15. August 2003 meldete sich der Kläger aufgrund einer Einladung zum 20. August 2003 telefonisch bei der Beklagten. Hierzu heißt es in den Beratungsvermerken unter anderem: "Will wissen, wie ich ein Gutachten mit ihm besprechen will, wo er doch gar nicht beim Arzt war. Gutachten liegt vor." Und "teilt telf mit, dass er lfd au krank ist, keine Leistungen vom AA erhält und deswegen auch nicht kommen wird"
Mit Schreiben vom 1. September 2003 stellte der Kläger einen Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 6. März 2003 und trug unter Vorlage einer Bescheinigung seiner Krankenkasse ...