Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit bei dem Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH
Orientierungssatz
1. Bei der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit ist von Ersterer auszugehen, wenn die Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis unter einer Weisungsgebundenheit verrichtet wird und eine Eingliederung in einen fremden Betrieb vorliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
2. Verfügt der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH über keine Sperrminorität in der Gesellschafterversammlung, ist er dieser gegenüber weisungsgebunden, ist er in den Betrieb des Unternehmens eingegliedert, hat er seine gesamte Arbeitskraft für das Unternehmen einzusetzen und ein unternehmerisches Risiko nicht zu tragen, so ist von dem Bestehen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 2.8.2019 geändert. Die aufschiebende Wirkung der beim Sozialgericht Münster unter dem Aktenzeichen S 14 BA 102/19 anhängigen Klage gegen den Bescheid vom 15.4.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2019 wird angeordnet, soweit Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung sowie die Umlagen U2 und UI betreffend Herrn N V für den Zeitraum vom 1.1.2014 bis 28.7.2016 gefordert werden. Die weitergehende Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Antragstellerin zu 36 % und die Antragsgegnerin zu 64 %. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 16.451,91 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Streitig ist die Vollziehung einer Forderung von Beiträgen und Umlagen für die Tätigkeit des Herrn N V (NV) für die X GmbH und für die Antragstellerin in der Zeit vom 1.1.2014 bis 31.12.2017.
NV ist einzelvertretungsberechtigter und von den Beschränkungen des § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) befreiter Geschäftsführer der früheren X GmbH (im Folgenden: X GmbH), die seit August 2016 unter MvU Beteiligungs GmbH (im Folgenden: MvU) firmiert (vgl. Eintragungen Nr. 1 Sp. 4 vom 21.3.2002 und Nr. 9 Sp. 2 vom 4.8.2016 HRB xxx AG G).
Das Stammkapital dieser Gesellschaft beträgt nach dem Gesellschaftsvertrag (GV-GmbH) vom 12.8.2004 70.000,00 Euro (Eintragung Nr. 3 Sp. 3 vom 25.10.2004 HRB xxx AG G). Im Streitzeitraum war NV nach der Gesellschafterliste vom 31.12.2011 hieran mit 15.450,00 Euro (= 22,07%) beteiligt. Beschlüsse der Gesellschafterversammlung werden mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, soweit nicht die Satzung oder das Gesetz eine andere Mehrheit zwingend vorschreibt (§ 11 Nr. 1 S. 1 GV-GmbH). Beschlüsse über die Änderung der Geschäftsordnung für die Geschäftsführer bedürfen der Mehrheit von 2/3 der abgegebenen Stimmen (§ 11 Nr. 1 S. 2 GV-GmbH). § 11 Nr. 2 GV GmbH nennt grundlegende Beschlussgegenstände, die der einstimmigen Beschlussfassung bedürfen. Abgestimmt wird nach Geschäftsanteilen, je 50,00 Euro eines Geschäftsanteils gewähren eine Stimme (§ 11 Nr. 3 GV-GmbH).
NV wird für die X GmbH (jetzt MvU) auf der Grundlage eines am 2.1.2003 geschlossenen Geschäftsführervertrages (GFV) tätig. Hiernach ist u.a. vorgesehen, dass er die Gesellschaft nach Maßgabe der Vorschriften des Gesellschaftsvertrages der Gesellschaft, des GFV, der Bestimmungen der Gesellschafter und der gesetzlichen Vorschriften vertritt (§ 1 Nr. 1 GFV). Seine Arbeitskraft und all seine fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen sind ausschließlich der Gesellschaft zu widmen (§ 1 Nr. 4 S. 1 GFV). Hinsichtlich der Gestaltung seiner Tätigkeit besteht im Wesentlichen nach Zeit, Umfang und Ort Weisungsfreiheit (§ 1 Nr. 4 S. 2 GFV). NV erhält u.a. ein monatliches Grundgehalt und eine Tantieme (§ 3 GFV), eine Fortzahlung der Bezüge für sechs Wochen bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit (§ 4 Nr. 1 GFV) und einen Jahresurlaub von 30 Arbeitstagen (§ 5 Nr. 1 GFV), der unter Berücksichtigung der geschäftlichen Belange mit den Gesellschaftern und weiteren Geschäftsführern festzulegen ist (§ 5 Nr. 2 GFV).
Die damalige Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) stellte mit Bescheid vom 4.5.2005 gegenüber NV fest, dass ab dem 1.1.1999 keine Versicherungspflicht nach § 2 S. 1 Nr. 9 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) bestehe, weil er nicht auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sei.
Mit Ausgliederungs- und Übernahmevertrag vom 28.4.2016 (UR-Nr. xxx/2016 Notar G. S in G) übertrug die X GmbH bei eigenem Fortbestand sämtliche Rechtsverhältnisse und Aktiva im Wege der Umwandlung durch Ausgliederung auf die Y Umwelt GmbH & Co. KG (im Folgenden: Y; HRA xx AG G). Verbindlichkeiten - außer solchen aus übergehenden Dienst- und sonstigen Dauerschuldverhältnissen - gingen nich...