Nun hat das BAG am 15.10.2021 (BAG, Urteile v. 15.10.2021, 6 AZR 253/19; 6 AZR 254/19; 6 AZR 332/19) mehrere Entscheidungen getroffen, die

  • einerseits bezüglich der Teilzeitbeschäftigten die gewünschte Klarstellung des fehlenden Anspruchs auf Überstundenzuschläge für Mehrarbeit bringen,
  • andererseits hinsichtlich des Entstehens von Überstunden bei Wechselschicht- oder Schichtarbeit Überraschungen enthalten.

Die Entscheidungen ergingen zum TVöD-K. Die Erwägungen des BAG lassen sich jedoch wegen der inhaltsgleichen Regelungen auch auf die anderen Sparten des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) und auf den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) übertragen.

Das Tarifrecht des öffentlichen Dienstes sieht in § 7 Abs. 7 TVöD/TV-L eine Definition von Überstunden wie folgt vor:

Zitat

Überstunden sind die auf Anordnung des Arbeitgebers geleisteten Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit von Vollbeschäftigten (§ 6 Abs. 1 Satz 1) für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen und nicht bis zum Ende der folgenden Kalenderwoche ausgeglichen werden.

Bei Vorliegen der in der Norm genannten Voraussetzungen besteht Anspruch auf Zahlung eines Überstundenzuschlags.

Anders sieht es bei Teilzeitbeschäftigten aus:

Leisten Teilzeitbeschäftigte Arbeitsstunden über die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeitdauer hinaus bis zur regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von Vollbeschäftigten, handelt es sich um Mehrarbeit im Sinne des § 7 Abs. 6 TVöD/TV-L. Für Mehrarbeit sehen die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes die Zahlung eines Zuschlags nicht vor. Es stellte sich die Frage, ob dies eine unzulässige Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten darstellt.

Das BAG hatte mit Urteil vom 19.12.2018, 10 AZR 231/18, in einer ähnlich gelagerten Konstellation für den Manteltarifvertrag der Systemgastronomie eine solche Diskriminierung anerkannt und einen Anspruch auf Zuschlag für die Arbeitszeit, die über die individuell festgelegte Arbeitszeit hinausgeht, zugesprochen. Dies ergebe sich aus einer entsprechenden Auslegung des Manteltarifvertrags der Systemgastronomie im Lichte des § 4 TzBfG, des Diskriminierungsverbots wegen Teilzeitarbeit. Teilzeitbeschäftigte seien benachteiligt – so die Aussage des 10. Senats des BAG im Jahr 2018 – wenn die Zahl der Arbeitsstunden, von der an ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung entsteht, nicht proportional zu ihrer vereinbarten Arbeitszeit vermindert würde.

Konkret auf das Tarifrecht des öffentlichen Dienstes bezogen mussten bisher zwei Fallgestaltungen unterschieden werden: Zu differenzieren war, ob die zusätzlichen Stunden innerhalb oder außerhalb von Wechselschicht- oder Schichtarbeit geleistet werden.

Zur Situation bei Leistung zusätzlicher Stunden innerhalb von Wechselschicht- oder Schichtarbeit:

Die Tarifvertragsparteien haben diesbezüglich in § 7 Abs. 8 Buchst. c) TVöD/TV-L eine eigene Definition für Überstunden geschaffen mit folgendem Wortlaut:

Zitat

(8) Abweichend von Absatz 7 sind nur die Arbeitsstunden Überstunden, die …

c) im Falle von Wechselschicht- oder Schichtarbeit über die im Schichtplan festgelegten täglichen Arbeitsstunden einschließlich der im Schichtplan vorgesehenen Arbeitsstunden, die bezogen auf die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Schichtplanturnus nicht ausgeglichen werden, angeordnet worden sind

Bereits in der Entscheidung aus dem Jahr 2017 hatte des Bundesarbeitsgerichts ausgeführt, dass die genannte Norm "wenig verständlich" sei und eine neue eigene Lesart kreiert. Nun hat das höchste deutsche Arbeitsgericht mit Urteil vom 15.10.2021, 6 AZR 253/19, festgestellt:

Diese sowohl für Vollzeitkräfte als auch für Teilzeitbeschäftigte maßgebliche Sonderregelung in § 7 Abs. 8 Buchst. c) TVöD-K zur Entstehung von Überstunden bei Wechselschicht- oder Schichtarbeit verstößt gegen das Gebot der Normenklarheit und ist deshalb unwirksam.

Die Pressemitteilung des BAG finden Sie unten.

Aufgrund der Unwirksamkeit der Vorschrift in § 7 Abs. 8 Buchst. c TVöD-K wird man davon ausgehen müssen, dass diese Norm ab sofort unbeachtlich ist, und der Norm für die Feststellung, ob bei Wechselschicht- oder Schichtarbeit leistenden Beschäftigten Überstunden vorliegen, keine Bedeutung mehr zukommt. Damit existieren tariflich keine Besonderheiten mehr für Mehrarbeit und Überstunden bei Wechselschicht- und Schichtarbeit. Diese aktuelle Entwicklung in der Rechtsprechung wird vor allem für Krankenhäuser sowie Pflege und Betreuungseinrichtungen von erheblicher Bedeutung sein, denn in zahlreichen dieser Einrichtungen wurden im Anschluss an die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts aus den Jahren 2013 und 2017 die Abrechnungsmodalitäten von Überstunden und Mehrarbeit in dienstplangeführten Bereichen dergestalt verändert, dass entsprechend der bisherigen Rechtsprechung für "im Dienstplan vorgesehene Überstunden" (sog. "geplante Überstunden") und für ad hoc angeordnete Überschreitungen der für den Tag geplanten Ar...

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