BAG, Beschluss vom 22.9.2021, 7 ABR 22/20
Wird ein Arbeitnehmer über eine auf das Arbeitsverhältnis anwendbare tarifliche Altersgrenze hinaus weiterbeschäftigt, liegt eine Einstellung i. S. v. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vor. Das gilt auch dann, wenn die Weiterbeschäftigung aufgrund einer Hinausschiebensvereinbarung i. S. v. § 41 Satz 3 SGB VI erfolgt.
Sachverhalt
Die beteiligten Arbeitgeberinnen betreiben mit ca. 4.400 Beschäftigten den öffentlichen Nahverkehr im Großraum M. Gemäß § 19 Abs. 1 Buchst. a des dort geltenden TV-N endet das Arbeitsverhältnis, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit Ablauf des Monats, in dem der/die Arbeitnehmer/-in das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersgrenze vollendet hat. Seit Inkrafttreten des § 41 Satz 3 SGB VI werden in dem Betrieb der Arbeitgeberinnen 5- bis 10-mal jährlich Vereinbarungen nach dieser Vorschrift geschlossen, worüber der dortige Betriebsrat lediglich informiert wird. So auch im vorliegenden Fall. Hier wurde dem Betriebsrat mit Schreiben vom 8.4.2019 mitgeteilt, dass das Arbeitsverhältnis des Herrn K auf seinen Wunsch gem. § 41 Satz 3 SGB VI bis zum 31.5.2020 fortgesetzt werde. Der Betriebsrat, der die Weiterbeschäftigung des Herrn K über die tarifliche Altersgrenze hinaus als eine zustimmungspflichtige Einstellung i. S. v. § 99 Abs. 1 BetrVG sieht, hat beantragt, der Beteiligten die Aufhebung der Beschäftigung des Herrn K aufzugeben und sie durch Zwangsgeld zur Befolgung der gerichtlichen Anordnung anzuhalten.
Die Arbeitgeberinnen haben dagegen vorgebracht, dass eine auf einer Hinausschiebensvereinbarung gem. § 41 Satz 3 SGB VI beruhende Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers über eine tarifliche Altersgrenze hinaus nicht der Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG bedürfe, da die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach § 41 Satz 3 SGB VI keine Einstellung sei, weil der Arbeitnehmer bereits eingegliedert sei. Zudem sei das Mitbestimmungsrecht durch die Zustimmung zur ursprünglichen Einstellung verbraucht.
Die Entscheidung
Der Antrag des Betriebsrates hatte vor dem BAG Erfolg.
Das Gericht entschied, dass die beteiligten Arbeitgeberinnen den Betriebsrat bei einer auf einer Hinausschiebensvereinbarung nach § 41 Satz 3 SGB VI beruhenden Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers über die tarifliche Altersgrenze hinaus nach § 99 Abs. 1 BetrVG zu beteiligen haben und zwar auch dann, wenn der Arbeitnehmer schon länger als 5 Jahre bei der jeweiligen Arbeitgeberin beschäftigt war sowie in den Fällen, in denen die Zustimmung zu der ursprünglichen Einstellung erteilt wurde, nachdem der Betriebsrat über eine beabsichtigte "dauerhafte Beschäftigung", eine "Beschäftigung auf unbestimmte Zeit" oder eine "unbefristete Beschäftigung" unterrichtet worden war.
Das BAG führte hierzu aus, dass nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG der Arbeitgeber in Unternehmen mit i. d. R. mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat u. a. vor jeder Einstellung zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die Person der Beteiligten zu geben habe. Eine Einstellung i. S. v. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG liege hierbei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dann vor, wenn Personen in den Betrieb eingegliedert werden, um zusammen mit den dort beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Danach stehe dem Betriebsrat bei einer auf einer Hinausschiebensvereinbarung nach § 41 Satz 3 SGB VI beruhenden Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers über die tarifliche Altersgrenze hinaus ein Mitbestimmungsrecht zu, da es sich auch bei einer Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers über das Ende eines befristeten Arbeitsverhältnisses hinaus um eine nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Einstellung handele. Dies folge aus dem Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts, den Interessen der schon im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu dienen. Deshalb komme eine Einstellung nicht nur bei der erstmaligen Eingliederung eines Mitarbeiters in den Betrieb in Betracht, sondern auch dann, wenn ein Arbeitnehmer über den zunächst vorgesehenen Zeitpunkt hinaus im Betrieb verbleibt; denn mit der Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers über das Ende eines befristeten Arbeitsverhältnisses hinaus nehme der Arbeitgeber genauso wie bei einer Neueinstellung eine Besetzung des aufgrund der Befristung des Arbeitsverhältnisses freiwerdenden Arbeitsplatzes vor. Dies könne Zustimmungsverweigerungsgründe auslösen, die bei der "Ersteinstellung" nicht voraussehbar waren und deshalb bei der ursprünglichen Zustimmungsentscheidung des Betriebsrats noch nicht berücksichtigt worden seien. Insoweit reiche die Beteiligung des Betriebsrats grundsätzlich bei jeder befristeten Einstellung nur bis zu der vorgesehenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Weiter führte das Gericht aus, dass diese Grundsätze auch bei einer Weiterbeschäftigung über eine auf das Arbeitsverhältnis an...