BAG, Urteil vom 7.9.2021, 9 AZR 3/21 (A)
Im Falle einer Langzeiterkrankung verfällt der Urlaubsanspruch 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres. Dem steht nicht entgegen, dass der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt hat, zumindest dann, wenn es objektiv unmöglich gewesen wäre, den Arbeitnehmer durch Mitwirkung des Arbeitgebers in die Lage zu versetzen, den Urlaubsanspruch tatsächlich zu realisieren.
Die Frage, ob dies auch für den Fall gilt, wenn ein erst im Verlauf des Urlaubsjahrs arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer seinen Urlaub vor Beginn seiner Erkrankung im Urlaubsjahr – zumindest teilweise – noch hätte nehmen können oder ob hier Art. 7 RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union der Auslegung einer nationalen Regelung wie § 7 Abs. 3 BUrlG entgegenstehen, wurde dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Sachverhalt
Der Kläger, der bei der Beklagten seit 2001 als Monteur beschäftigt war, verlangt von dieser die Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2015 bis 2017.
Zum 31.12.2019 wurde sein Arbeitsverhältnis aus gesundheitlichen Gründen gekündigt, da der Kläger seit dem 18.11.2015 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses krankheitsbedingt arbeitsunfähig war.
Der Urlaubsanspruch des Klägers betrug 30 Arbeitstage im Kalenderjahr. Aufgrund seiner Erkrankung konnte der Kläger hiervon im Jahr 2015 an 21 Arbeitstagen und in den Jahren 2016 und 2017 keinen Urlaub nehmen. Die Beklagte hatte den Kläger weder aufgefordert, den Urlaub zu nehmen, noch darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahrs oder Übertragungszeitraums verfallen könne. Sie erteilte jedoch dem Kläger zunächst Lohnabrechnungen, in denen die Resturlaubsansprüche aus dem laufenden Kalenderjahr und den Vorjahren ausgewiesen, ihnen Entgeltbeträge zugeordnet und die Urlaubsansprüche, wie auch die Entgeltbeträge, fortlaufend saldiert wurden. Ab dem Monat Februar 2019 beschränkte die Beklagte dann die Angaben auf den nicht genommenen Urlaub aus dem laufenden Kalenderjahr und dem Vorjahr bzw. den letzten beiden Vorjahren. Somit war in der Abrechnung Dezember 2018 in der Rubrik "Vorjahr" als "Url. – Stand" 53 Tage angegeben, in der Rubrik "lfd. Jahr" 30 Tage und in der Rubrik "Resturlaub" 83 Tage. In der Abrechnung für März 2019 stand nun nur noch in der Rubrik "Vorjahr" als "Url. – Stand" 30 Tage, in der Rubrik "lfd. Jahr" 7 Tage und in der Rubrik "Resturlaub" 37 Tage.
Der Kläger forderte die Beklagte mehrmals auf, die "Kürzung" seiner Urlaubsansprüche zurückzunehmen bzw. seinen Urlaub aus den Vorjahren anzuerkennen. Nachdem er keinen Erfolg hatte, erhob er Klage auf Abgeltung von 69 Urlaubstagen aus den Jahren 2015–2017; denn dieser sei trotz seiner dauerhaften Erkrankung nicht verfallen, da die Beklagte es unterlassen hatte, ihn rechtzeitig auf den drohenden Verfall hinzuweisen. Zudem habe die Beklagte die Resturlaubsansprüche auch durch die fortlaufende Saldierung in den Lohnabrechnungen anerkannt.
Die Entscheidung
Das ArbG und das LAG haben die Klage abgewiesen.
Das BAG entschied, dass die Klage unbegründet sei, soweit sie sich auf Zahlung von Urlaubsabgeltung für Urlaub aus dem Jahr 2016 und dem Jahr 2017 richtete. Für die Frage der Urlaubsabgeltungsansprüche aus dem Jahre 2015 hat das Gericht das Verfahren ausgesetzt und diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Für die Jahre 2016 und 2017 hat das BAG ausgeführt, dass der Kläger zwar zu Beginn dieser Jahre einen vertraglichen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen erwarb, der den gesetzlichen Urlaubsanspruch einschloss und nicht durch Erfüllung gem. § 362 Abs. 1 BGB erloschen sei. Jedoch sei für diesen Zeitraum kein Urlaubsabgeltungsanspruch gem. § 7 Abs. 4 BUrlG entstanden, da seine gesetzlichen und vorliegend auch seine vertraglichen Urlaubsansprüche (da hier die Parteien – anders wie TVöD/TV-L- keine vom Bundesurlaubsgesetz abweichende Vereinbarung über die Übertragung und Verfall getroffen haben) 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahrs und damit vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses erloschen seien.
Insoweit war hier der Urlaub des Klägers aus dem Jahr 2016 nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG am 31.3.2018 verfallen und der Urlaub aus dem Jahr 2017 am 31.3.2019.
Dem Erlöschen der Urlaubsansprüche steht nach Auffassung des BAG nicht entgegen, dass die Beklagte ihre Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt hatte. Zwar bestehe die Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers auch wenn und solange der Arbeitnehmer arbeitsunfähig sei; denn es sei dem Arbeitgeber möglich, den arbeitsunfähigen Arbeitnehmer rechtzeitig entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu unterrichten und ihn aufzufordern, den Urlaub bei Wiedergenesung vor Ablauf des Urlaubsjahrs oder des Übertragungszeitraums so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahrs oder de...