BAG, Urteil vom 20.7.2021, 2 AZR 193/21
Die Zustimmung des Integrationsamtes als Verwaltungsakt, der im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung vorliegt, bindet die Arbeitsgerichte so lange, bis im verwaltungsprozessualen Vor- oder Klageverfahren eine bestands- bzw. rechtskräftige Entscheidung ergangen ist.
Sachverhalt
Die Klägerin ist einer schwerbehinderten Beschäftigten gleichgestellt. Sie arbeitete seit dem Jahr 2002 bei der Beklagten. Diese beschuldigte die Klägerin im Jahr 2018 eines dienstlichen Vergehens. Deshalb beantragte die Beklagte mit Schreiben vom 23.8.2018 die Zustimmung des Integrationsamtes zu der von ihr beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung und vorsorglich auch zu einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist. Das Integrationsamt traf keine ausdrückliche Entscheidung über den Antrag, wies jedoch die Beklagte am 7.9.2018 darauf hin, dass wegen des Ablaufs der gesetzlichen 2-Wochen-Frist nach § 174 Abs. 3 SGB IX die Zustimmung als erteilt gelte. Die Beklagte kündigte darauf das Arbeitsverhältnis aus verhaltensbedingten Gründen außerordentlich mit 2 am selben Tag zugegangenen Schreiben vom 10.9.2018 – einmal fristlos und einmal mit einer Auslauffrist bis zum 31.3.2019. Die Klägerin erhob hiergegen Klage und legte Widerspruch gegen die Zustimmung des Integrationsamtes ein, worauf dieses am 21.2.2019 einen Abhilfebescheid erließ und seine Zustimmung aufhob. Hiergegen erhob nun die Beklagte Klage vor dem Verwaltungsgericht. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des LAG über die Kündigungen war über diese Klage gegen das Integrationsamt noch nicht entschieden worden. Dennoch gab das LAG unter Hinweis auf den Abhilfebescheid des Integrationsamtes der Kündigungsschutzklage statt. Hiergegen legte die Beklagte Revision ein.
Die Entscheidung
Das BAG hob das stattgebende Urteil des LAG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück, da dieses der Kündigungsschutzklage mit den gegebenen Gründen nicht habe stattgeben dürfen.
Das BAG führte hierzu aus, dass die Kündigungen nicht nach § 134 BGB i. V. m. § 168 SGB IX nichtig seien, weil die Zustimmung des Integrationsamtes auf den Widerspruch der Klägerin aufgehoben worden sei; denn der Abhilfebescheid war noch nicht rechtskräftig. Das Gericht führte hierzu aus, dass die Tatbestandswirkung von rechtswirksamen (d. h. nicht nichtigen) Verwaltungsakten, wie hier die gesetzlich fingierten Zustimmung des Integrationsamtes, zur Folge habe, dass die Gerichte aller Rechtszweige an diese – selbst bei Rechtswidrigkeit – gebunden seien, es sei denn, dem Gericht sei die Kontrollkompetenz eingeräumt. Dies folge aus Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip) sowie aus § 43 VwVfG bzw. § 39 SGB X. Zudem hätten gem. § 171 Abs. 4 SGB IX Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zustimmung des Integrationsamtes keine aufschiebende Wirkung, was bedeute, dass die durch das Integrationsamt einmal erteilte Zustimmung zur Kündigung so lange Wirksamkeit entfalte, wie sie nicht rechtskräftig aufgehoben sei. Deshalb sei es für die Frage der Wirksamkeit der Kündigung, wenn diese auf der Grundlage des Zustimmungsbescheids der Kündigung zunächst erklärt wurde, irrelevant, ob die Zustimmung im verwaltungsprozessualen Vor- oder Klageverfahren aufgehoben werde, solange die betreffende Entscheidung nicht bestands- bzw. rechtskräftig sei. Für den Fall, dass die Zustimmung des Integrationsamtes erst nach rechtskräftiger Abweisung der Kündigungsschutzklage Bestands- oder rechtskräftig aufgehoben werde, stehe dem Beschäftigten ggf. die Restitutionsklage nach § 580 ZPO offen. Dies hatte das LAG in dessen Entscheidung nicht berücksichtigt, sodass die Sache an dieses zurückverwiesen wurde.