Rz. 12
Grundsätzlich ist ein Anspruch auf Alg nach dem Territorialitätsprinzip an einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet gebunden (vgl. § 30 Abs. 1 SGB I). Das BSG hat diese Vorschrift jedoch dahin verfassungskonform ausgelegt, dass ein grenznaher Auslandswohnsitz dem Anspruch auf Alg eines Arbeitnehmers nicht entgegensteht, der zuvor in Deutschland wohnhaft und versicherungspflichtig war, wenn die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (BSG, Urteil v. 7.10.2009, B 11 AL 25/08 R). Dabei bezog sich das BSG auf die Entscheidung des BVerfG v. 30.12.1999, 1 BvR 809/95). Das BVerfG hatte insbesondere darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber nicht frei darin ist, ohne gewichtige sachliche Gründe den Anknüpfungspunkt zwischen Beitragserhebung und Leistungsberechtigung zu wechseln. Das überschreite die Befugnis des Gesetzgebers, den Wohn- und Aufenthaltsort als Kriterium zu wählen, nachdem sich die Gewährung der Leistung bestimmt und die Beitragspflicht an den Beschäftigungs-, Wohn- oder Aufenthaltsort zu knüpfen. Auf das Gemeinschaftsrecht komme es insoweit bei Grenzgängern nicht an. Steht das Wohnsitzprinzip dem Eingriff durch Auferlegung von Beiträgen nicht entgegen, können territoriale Gründe nicht erstmals gegen die Einlösung des erworbenen Versicherungsschutzes ins Feld geführt werden. Der Kläger war nach Eintritt der Arbeitslosigkeit grenznah in die Niederlande gezogen. Bei der Entscheidung des BVerfG ging es um eine zuvor in der Bundesrepublik versicherungspflichtige Österreicherin mit grenznahem Wohnsitz in Belgien.
Rz. 12a
Durch Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 SGB I) in der Schweiz bzw. als Grenzgänger mit wöchentlicher Rückkehr in die Schweiz kann ein Anspruch auf Alg nicht begründet werden, es findet ein Statutenwechsel zugunsten schweizerischen Rechts statt (vgl. BSG, Urteil v. 12.12.2017, B 11 AL 21/16 R). Andere Rechtsnormen oder die Rechtsprechung des EuGH stehen dem nicht entgegen. Das begegnet für das BSG auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Rz. 12b
Kindererziehungszeiten nach § 26 Abs. 2a sind auch dann versicherungspflichtig zur Arbeitsförderung und anwartschaftszeitbegründend, wenn die vorausgegangene Versicherungspflichtzeit in Österreich zurückgelegt wurde (BSG, Urteil v. 26.2.2019, B 11 AL 15/18 R).
Rz. 12c
Stellt ein echter Grenzgänger einen Antrag auf Alg in Deutschland, ist zu prüfen, ob er innerhalb der Rahmenfrist die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Die Rahmenfrist findet stets ihre Grenze in dem Ende einer früheren Rahmenfrist. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob sich diese nach deutschem oder niederländischem Recht gerichtet hat. Beschäftigungszeiten, die zur Begründung des Anspruches auf niederländisches Alg geführt haben, sind daher nicht erneut zu berücksichtigen. Abzustellen ist für den Anspruch nach deutschem Recht lediglich auf die nach dem Bezug in den Niederlanden zurückgelegten Beschäftigungszeiten (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 14.3.2019, L 9 AL 144/18). Dies verletzt demnach auch nicht das Verbot des Zusammentreffens eines Anspruchs auf mehrere Leistungen gleicher Art aus derselben Pflichtversicherungszeit in Art. 10 der VO (EG) 883/2004, denn das gewährte und das begehrte Alg sind zwar Leistungen gleicher Art, beruhen allerdings nicht auf derselben Pflichtversicherungszeit.
Rz. 13
Für Erstattungsforderungen aus dem Export von Arbeitslosengeld mit dem sog. Portable Document U2 gilt Art. 65 der VO (EG) 883/04. Das Verfahren wird derzeit von den Staaten der EU uneinheitlich gehandhabt. Die Verordnung eröffnet die Möglichkeit einer materiellen Absicherung der Arbeitsuche im EU-Ausland mit Export eines national erworbenen Anspruchs auf Alg als sozialpolitisch ausgerichtete Maßnahme. Ein rechtmäßig ausgestelltes Portable Document U2 vermittelt im Regelfall einen einklagbaren Anspruch, weil sich die Agentur für Arbeit zur Bewilligung von Alg in bestimmter Dauer und Höhe für den Fall verpflichtet hat, dass sich der Arbeitslose beim zuständigen Träger im Land der Arbeitsuche meldet und die im Dokument genannten Voraussetzungen erfüllt (Bay. LSG, Urteil v. 27.1.2015, L 10 AL 188/14).