Rz. 3
Ein Arbeitskampf i. S. d. § 160 ist gegeben, wenn entweder die Arbeitnehmer oder die Arbeitgeber solche kollektive Maßnahmen ergreifen, die die jeweilige Gegenseite zielgerichtet in Bezug auf Arbeitsbedingungen unter Druck setzen sollen, und die zugleich geeignet sind, Arbeitslosigkeit herbeizuführen (also Streik oder Aussperrung). Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift stellt grundsätzlich klar, dass Entscheidungen nach § 160 außer Acht lassen, ob ein Arbeitskampf durch das Erbringen von Leistungen beeinflusst wird oder nicht, z. B. der Arbeitskampf abgekürzt oder verschärft werden könnte. Die Regelung wirft aber nicht die Frage auf, ob durch Leistung oder Nichtleistung von Alg in Arbeitskämpfe eingegriffen werden kann. Dies ist als Folge der verfassungsrechtlich geschützten Koalitionsfreiheit ohnehin untersagt und wird durch § 160 dementsprechend ausgestaltet. Diese Frage beantwortet sich zugunsten des einen oder anderen Lagers von selbst. § 160 gilt unbeeinflusst davon, dass durch ganztägige Streiks anstelle von Warnstreiks der wirtschaftliche Schaden für den Arbeitgeber deutlich erhöht werden kann und durch eine vorherige Abstimmung im betroffenen einzelnen Betrieb der Konflikt der Tarifvertragsparteien verschärfend in die Betriebe getragen wird. Die Vorschrift geht vielmehr davon aus, dass ein Arbeitnehmer die Anspruchsvoraussetzungen für die Versicherungsleistung erfüllt hat und sie nunmehr begehrt; der Anspruch auf Alg sollte dem Grunde nach möglich sein, weil insbesondere Beschäftigungslosigkeit, Verfügbarkeit und Beschäftigungssuche gegeben sind. Das wird der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer selbst streikt oder von einer Aussperrung betroffen ist, arbeitskampfbedingt für eine Vermittlung in Arbeit zur Verfügung steht (also ohne Gefährdung des aktuellen Arbeitsplatzes) und zu entsprechenden Eigenbemühungen bereit ist und diese unternimmt. Alg wird dem Arbeitnehmer nach Maßgabe der nachfolgenden Regelungen aber vorenthalten, weil ansonsten ein Eingriff in den Arbeitskampf vorläge. Damit wird die Regelung quasi individualisiert. Dadurch wird der eigentumsähnliche Schutz des Anspruchs auf Alg nicht verletzt; das Ruhen des Anspruchs berührt ohnehin nicht das Stammrecht auf Alg. Die Bundesagentur für Arbeit trifft dementsprechend keine wertenden Entscheidungen während des Arbeitskampfes, diese sind ihr gesetzlich verboten, sondern setzt vielmehr das gesetzgeberische Konzept um, nach dem Ansprüche auf Alg nach Maßgabe des § 160 zur Sicherung der Kampfparität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern ruhen. In diesem Sinne liegt kein Eingriff vor. Ziel der Vorschrift ist vielmehr nur, eine Schieflage der Kampfparität zu vermeiden und dadurch gerade nicht in den Arbeitskampf einzugreifen. Andererseits wird dem Arbeitnehmer der Anspruch auf Alg zuerkannt, allerdings nicht erfüllt. Im Ergebnis kann in einen Arbeitskampf sowohl durch Bewilligung wie auch durch Ablehnung von Alg (wie auch Kurzarbeitergeld) eingegriffen werden.
Rz. 3a
Abs. 1 Satz 2 richtet den Blickwinkel auf den Fachbereich, in dem die Tarifvertragsparteien den Arbeitskampf ausfechten. Für einen anderen Fachbereich schließen dieselben oder andere Tarifvertragsparteien eigenständige andere Tarifverträge. Deshalb kann durch Leistung von Alg an den Arbeitslosen, der in einem fachfremden Betrieb beschäftigt ist, weil dieser nicht dem fachlichen Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrags unterliegt, nicht in den Arbeitskampf eingegriffen werden. Die Regelung gilt nur für mittelbar am Arbeitskampf Beteiligte. Als solcher ist allerdings auch ein Arbeitnehmer in einem fachfremden Betrieb anzusehen, der ausgesperrt worden ist. Sympathiestreik soll ebenfalls das Ruhen des Alg bewirken (BT-Drs. 10/5214 S. 11). Auch diese nehmen Einfluss auf den Fortgang des Arbeitskampfes.
Rz. 3b
Mit wechselnden Arbeitskampftaktiken und -praktiken geht auch die jeweilige Diskussion über die Zulässigkeit einher. Es wird hauptsächlich politisch diskutiert, ob und inwieweit der Einsatz von Zeitarbeitskämpfen zulässig ist, um streikbedingte Arbeitsausfälle zu überwinden. Die Richtlinie 2008/104EG v. 19.11.2008 über Leiharbeit, die bis zum 5.12.2011 in nationales Recht umzusetzen ist, lässt mit den in ihr enthaltenen Bestimmungen über Einschränkungen und Verbote der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern die nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten unberührt, die es verbieten, streikende Arbeitnehmer durch Leiharbeitnehmer zu ersetzen. Aus diesem Grund sieht es die Bundesregierung der 17. Legislaturperiode nicht als erforderlich an, nationales Recht insoweit zu ändern. In Deutschland entscheidet der Arbeitgeber im Streikfall darüber, ob er den Betrieb aufrecht erhalten will oder nicht. Ggf. muss er Ersatzarbeitnehmer beschäftigen. Das können auch Zeitarbeitnehmer sein. Diese sind allerdings nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nicht dazu verpflichtet, bei einem Entleiher eine Beschäftigung aufzunehmen, der durch einen Arbeitskampf unmittelbar betroffen ist (§ 11 Abs. 5 AÜG)....