Rz. 3
Der Gesetzgeber hält auch mit dem BTHG an dem gegliederten System der Rehabilitation weiter fest (vgl. ausführlich dazu Palsherm, WzS 2011 S. 135). Der damit verbundenen Herausforderung eines abgestimmten Vorgehens zwischen den einzelnen Rehabilitationsträgern tritt der Gesetzgeber mit einer Reihe von Änderungen gegenüber, wie z. B. verbessertes Antragsverfahren nach § 14 Abs. 3, Teilhabeplanverfahren nach §§ 19 ff. oder auch frühzeitige Bedarfserkennung gemäß §§ 12 und 13.
2.1 Maßnahmen zur Erkennung des Rehabilitationsbedarfes (Abs. 1)
Rz. 4
Die Rehabilitationsträger werden durch § 12 Abs. 1 verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur frühzeitigen Erkennung eines Rehabilitationsbedarfes zu ergreifen. Hierbei handelt es sich um ein subjektiv einklagbares Recht, welches der Leistungsberechtigte von den Rehabilitationsträgern im Wege der allgemeinen Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG einfordern kann. Darüber hinaus, und das ist wohl die weitaus wichtigere Frage für den Betroffenen, kann eine fehlerhafte oder pflichtwidrig unterlassene Bedarfserkennung einen Schadens- oder Nachteilsanspruch auslösen. Mögliche Anspruchgrundlagen dafür sind der Amtshaftungsanspruch nach Art. 34 GG i. V. m. § 839 BGB oder der sozialrechtliche Herstellungsanspruch (vgl. dazu ausführlich die Komm. von Sauer, SGB I, § 14 Rz. 20 ff.).
Rz. 5
Die Rehabilitationsträger sind in ihrer Maßnahmenwahl zur Erkennung des Rehabilitationsbedarfes frei. Dabei können sie sowohl auf interne Maßnahmen abstellen, indem sie ihre Mitarbeiter entsprechend qualifizieren, oder durch externe Aktionen, z. B. durch ein öffentlichkeitswirksames Informationsangebot, Betroffene besser erreichen. Wichtig ist, dass keine implizit oder direkt leistungsverengenden Verfahren, Abläufe oder Auskünfte bestehen, die dem Gesamtprozess entgegenstehen (BT-Drs. 18/9522 S. 231). Der Gesetzgeber legt besonderen Wert auf geeignete Antragsformulare, die sowohl von den Sachbearbeitern der Leistungsträger praktikabel und effizient bearbeitet werden können als auch den Betroffenen ein einfaches und richtiges Ausfüllen ermöglichen. Besonders soll der Fall vermieden werden, dass eine Nichtzuständigkeit eines Leistungsträgers vom Leistungsberechtigten als genereller Leistungsausschluss verstanden wird. Anhaltspunkte für mögliche Rehabilitationsbedarfe ergeben sich beispielsweise aus vorliegenden Informationen zu Erkrankungen, längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten oder stationären Behandlungen. Die einzelnen Rehabilitationsträger haben bestimmte Sachverhalte zusammengetragen, bei denen Leistungen zur Teilhabe in Betracht kommen können (§ 11 BAR GE Reha-Prozesse). Gibt es Anhaltspunkte für funktionsbezogene Teilhabebeeinträchtigungen in einem Teilhabebereich (z. B. Arbeitsplatz), ist zur Sicherung der frühzeitigen Bedarfsermittlung zur klären, ob diese Beeinträchtigung auch in anderen Bereichen, z. B. bei der Haushaltsführung auftreten (Zinsmeister, in: LPK-SGB IX, 6. Aufl., § 12 Rz. 6).
Rz. 6
Eine Definition des Rehabilitationsbedarfs kennt das SGB IX nicht. Liegen jedoch in Anlehnung an § 2 Abs. 1 Satz 1 gesundheitliche Beeinträchtigungen in Form von körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen vor mit der Folge, in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben zu können, kann grundsätzlich von einem Rehabilitationsbedarf ausgegangen werden. Wie bereits mit Verweis auf § 13 SGB IX angezeigt, ist nach der Erkennung des Rehabilitationsbedarfs dessen Umfang (Rehabilitationsziel) zu bestimmen. Art. 26 UN-BRK definiert als (Re-)Habilitationsbedarf die Maßnahmen, die Menschen mit Behinderungen in die Lage versetzten, ein Höchstmaß an Unabhängigkeit und Fähigkeiten sowie die volle Einbeziehung und Teilhabe bezogen auf alle Aspekte des Lebens zu erlagen (Zinsmeister, in: LPK-SGB IX, 6. Aufl., § 12 Rz. 7). Zum Schutz vor Benachteiligung ist dieses "Höchstmaß" nach dem Verwirklichungsspielraum zu bemessen, der Menschen ohne Behinderungen in dieser Lebenslage zur Verfügung stünde (Zinsmeister, a. a. O., Rz. 7 mit Verweis auf BSG, Urteil v. 17.12.2009, B 3 KR 20/08, und Bieritz-Harder, in: LPK-SGB XII, § 53 Rz. 24). Das eröffnet für jeden Menschen einen höchstpersönlichen Gestaltungsspielraum, in dem er nach seiner ganz individuellen Vorstellung und Lebenszielplanung seine Teilhabe an der Gesellschaft bestimmen kann. Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 4 Abs. 1 Nr. 4). Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 ist bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe den berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten zu entsprechen. Die persönlichen Rehabilitationsziele bilden mithin das "Scharnier" zwischen der individuellen funktionsbezoge...